Von Guido Dörheide (24.03.2024)
Bin ich grundsätzlich zu blöd, um mitzubekommen, wenn meine österreichischen Lieblingskünstler neue Musik veröffentlichen, schreiben die Medien zu wenig darüber, oder sind 2022 so viele gute Alben erschienen, dass ich einfach den Überblick verloren habe? Von der Veröffentlichung der beiden Weltklasse-Alben „Oame Söö“ von Ernst Molden (ein wunderbares Album über den Tod, nee, Quatsch, über Märchen und Sagen. Also doch über den Tod.) und „Wie die Nocht noch jung wor“ von Voodoo Jürgens aus 2022 nahm ich zumindest erst im vergangenen Jahr Notiz. Über „Endlich Wienerlieder“, die aktuelle Veröffentlichung von Der Nino aus Wien, las ich immerhin nur eine knappe Woche verspätet in den Medien, und dabei bekam ich dann auch zufällig mit, dass auch Nino Mandl (der heißt nämlich gar nicht „aus Wien“ mit Nachnamen) bereits 2022 ein neues Album veröffentlicht hatte („Eis Zeit“), das komplett spurlos an mir vorübergegangen war.
Nun also „Endlich Wienerlieder“ vom Bob Dylan vom Praterstern, wie der Kritiker:innenliebling von den Kritiker:innen liebevoll genannt wird, und ich bin gespannt.
Während „Eis Zeit“ sich zwischen Indierock/-pop und Singer/Songwritermusik bewegte, deckt Mandl auf dem neuen Album eine größere Bandbreite ab: Bereits beim ersten Song „Koarl“ macht das Album dem Titel alle Ehre. Nach einem einleitenden „OK, gemma voran“ nimmt Nino die Hörenden mit auf eine bizarre Reise mit dem Karl durch die Gassen und die Tschocherln und lässt sich dabei vom Protagonisten was erzählen, der früher mal Messerstecher war, einige Zeit im Zuchthaus zugebracht hat, literweise Weinbrand säuft aber unterm Strich doch recht leiwand ist. Und „Es wor a langes Johr, weil i so langsam wor“ ist ja auch schon mal eine Aussage.
Mit „Alles 1 Scheiss“ folgt dann eine jammernde Tirade darüber, dass alles – inklusive des Liedes, bei dem es nicht um „net grod a Hit“ handele – ein Scheiß sei. Abgehackte Gitarrenakkorde, Slidegitarre und indierockiges Jaulen von ebenfalls der Gitarre wechseln sich ab, dazu Zeilen wie „Und wos soll i mochn aus meinem Leid, i hob ja nix g’lernt und kenn keine Leit“ – Selbstmitleid klang das letzte Mal im Jahr 1983 so schön, und zwar bei den Violent Femmes, woran mich „Alles 1 Scheiss“ auch musikalisch erinnert.
Anschließend ertönen uns Nordlichtern vertraute Klänge, wieder einmal mehr zum Klang der Slidegitarre stimmt der Nino nämlich „La Paloma“ (nur heißt es bei ihm „Auf die Wienerinnen“) an und was soll i noch song – der Nino aus Wien steht dem blonden Hans aus St. Pauli in Sachen Fernweh- und Melancholieerzeugung in nichts nach. Sogar den Gemeindebau hat er in seine Lyrik eingebaut, ansonsten hat er Albers’ Hymne auf die Reeperbahn vortrefflich in eine auf das Leben in Wien im Allgemeinen und deren Einwohnerinnen im Besonderen umgedichtet.
Mit dem folgenden „Urlaub“ geht es dann weg vom Wienerlied und hinein ins Liedermacherische in bester Bernd-Begemann-Tradition (mit den Hamburgern hat er es irgendwie). Ich habe auf den Pferdefuß gewartet bei diesem Lied, aber nein, Mandl besingt den Urlaub mit der Liebsten komplett unironisch als etwas so Schönes.
„No a bisserl foischer“ ist eins meiner Lieblingsstücke auf „Endlich Wienerlieder“. Hier betreten wir die Arena des melancholischen, leicht schrammeligen Indierocks, einen Ort also, an dem der Nino aus Wien quasi Heimvorteil genießt. Dazu gibt es einen quasi sinnfreien Text über das Falsch-Singen von Songs, sei es aufgrund handwerklichem Unvermögens oder ob einer ausgefallenen Monitorbox: „Nur mei Gesang den her i net, drum sing i ohne mi zu hean, doch das passt zu meinem Werk, das no a bisserl foischer gsungen g’heat“. Passt, aber ich liebe diesen Gesang.
„Schnackerl“ ist wieder ein Wienerlied, und es thematisiert den Schluckauf (Schnackerl), den die Liebste bekommt, weil der Protagonist an sie denkt. „Vüles muss i zoin, monches hob i g’stoin, dass Du ein Geschenk bist, weiß ich eh“ – schöner geht eine Liebeserklärung kaum, oder?
Irgendwie reiht sich auf diesem Album – auch das eigentlich typisch für den Nino aus Wien – eine Perle an die andere wie auf einer Wäscheleine, genauer hinhören lohnt immer und die Musik ist durchweg eh leiwand.
Besonders hervorheben möchte ich noch „Grau“, ein sehr schönes Duett mit Natalie Ofenböck, und „Diamond Time“ mit seinem spinnerten Synth-Gefiepe und einem schönen Mischmasch aus Englisch und Wiener Schmäh („It’s diamond time für Dich. Diamantenzeit for you.“) und natürlich den wunderschönen Abschlusstrack „Mehr von Wien“, der sich von Singer-Songwritergeklampfe bis hin zu Stadion-Mitgröhl-Hymnentum bewegt und zurück und der wundervollen Stimme vom Nino aus Wien eine bestmögliche Bühne bietet. Quasi Ambros, Fendrich und ein wenig Danzer in nur knapp über drei Minuten.