Von Matthias Bosenick (23.02.2024)
Wie sehr das antike Griechenland kulturell orientalisch geprägt war, arbeitet das in Amsterdam angesiedelte und international besetzte AVA Trio auf seinem vierten Album „The Great Green“ heraus: Zu den Bariton-Saxophon-, Sackpfeifen- und Flötentönen hat man Orientalischen Tanz vor Augen, die percussiven Rhythmen greifen diesen Eindruck auf, und dazu groovt der Bass. Das „AVA“ im Bandnamen steht nicht von ungefähr für Avantgarde: Grundsätzlich operiert das Trio im Jazz, aber selbst dieses ohnehin schon für Grenzenlosigkeit bekannte Genre erweitert das Trio noch. Und erzählt die Geschichte von einem, der auszog, die Farbe Blau zu entdecken.
Sitzen drei Leute am Mittelmeer, das die antiken Griechen in Ermangelung eines Wortes für die Farbe Blau „Das große Grün“ nannten, packen ihre Instrumente aus und lassen sich von Ort, Wetter, Geschichte und Stimmung zu einer zeitlosen wie jetzigen Musik inspirieren, die irgendwo zwischen Olivenhainen, klassischen Säulenruinen und schwer zugänglichen Küstenabschnitten das beruhigende, ungestüme und unberechenbare Wesen des gigantischen Binnenmeeres zelebriert. Da die drei Musiker auf jedes moderne Mittel verzichten, könnte diese Musik auch genau so bereits 2400 Jahre alt sein, lägen ihr nicht die kulturellen kompositorischen Entwicklungen der jüngeren Post-Jazz-Zeit inne. So kombiniert das Trio traditionelles Musikhandwerk mit dem freien Geist der Moderne, aber nicht mit der Technik. Die vier Stücke hätten auch genau so unter Oliven, im Garten in einem historischen Küstendorf oder am kargen Inselstrand eingespielt worden sein können.
Am meisten beeindruckt zunächst die Wucht, mit der das Percussion schlägt: Kein herkömmliches Drumset, sondern eben Percussion, Rahmentrommeln und Tamburello spielt Pino Basile und holt da einen Wumms heraus, dass man sich zum Aufspringen und Zappeln gezwungen sieht. Dazu groovt Esat Ekincioğlu an seinem Kontrabass, und man würde ihm dabei auch mit Vorliebe noch zuhören, wären die anderen beiden Musiker gar nicht vor Ort. Was sie aber gottlob sind, und Giuseppe Doronzo hat gleich drei Instrumente mit: das Bariton-Saxophon, eine albanische Longar-Doppelflöte und die iranische Sackpfeife Ney-anbān.
Ja, die Melodien könnten aus dem Orient sein, an mancher Stelle kennt man sie vergleichbar vom bundesdeutschen Mittelaltermarkt, man fühlt sich in den Vorderen Orient versetzt und dazu aufgefordert, sein Becken kreisen zu lassen und mit den anderen Anwesenden zu tanzen, wenn man nicht gerade mit ihnen Obst aus den Bäumen pflückt und fröhliche Getränke zu sich nimmt oder kontemplativ aufs Meer blickt. Dabei geleitet einen das Trio behutsam in die Szenerie, der Bass frickelt, die Percussion wummert, das Saxophon ertönt versonnen, der Schellenkranz rasselt, das Ausgelassene wartet noch auf uns, das Experimentelle ebenso. Als Brücke in den Pop erinnert die Melodieführung bisweilen an den Jazz von Morphine, das Trio selbst listet noch die aserbaidschanische Kunstmusik Maqam auf. Und dann wundert man sich: Das sind wirklich nur wieder drei Leute gerade, die diese Musik generieren.
Mit diesen vier Tracks erzählt das AVA Trio die Geschichte eines namenlosen Fischers, der auf „Das große Grün“ blickt und sich wundert, dass dieses Grün so anders aussieht als etwa das der Blätter an Bäumen und Büschen. Er schärft alle fünf Sinne und begibt sich auf eine psychedelische Suche nach der Wahrheit dieser Farbe. Ausgehend von den Tränen der „Didima“ und über ein verschlungenes Labyrinth landet er auf der verfluchten Insel „Timanfaya“. Nach seiner Rettung erkennt er vom Boot aus, dass der Ozean nicht grün ist, und feiert die Farben, die sich ihm offenbaren, die Schattierungen von Blau.
Ein Abenteuer, nicht nur inhaltlich, sondern auch musikalisch, und dabei zugänglich genug, um an den Experimenten des AVA Trios Freude haben zu können. Auch ohne das Wissen um die Hintergründe fühlt man sich in den Orient versetzt: das kann das Trio!