Von Guido Dörheide (13.12.2023)
Ich gehe an das neue Madness-Album mal ran, ohne mir nochmal die Vorgänger „Oui Oui, Si Si, Ja Ja, Da Da“ und „Can’t Touch Us Now“ anzuhören, die mir beide gut gefallen, mich aber nicht vom Hocker gerissen haben. Und bin begeistert. Wenn jemals eine Band, die es schon seit über 40 Jahren gibt, deutlich gemacht hat, dass sie a) künstlerisch immer noch über jeden Zweifel erhaben und b) weiterhin relevant ist, dann Madness mit „Theatre Of The Absurd Presents C’est la Vie“ (allein der Titel ist schon Welt, finde ich).
Zuallererst muss man sich mal vor Augen halten, wer eigentlich die sechs Herren waren, die seinerzeit (1979 auf dem Coverartwork von „One Step Beyond“) den Silly Walk performten. Es waren Graham MacPherson („Suggs“, Gesang), Mike Barson („Monsieur Barso“, Keyboards), Chris Foreman (Gitarre), Mark Bedford (Bass), Lee Thompson (Saxofon) und Dan Woodgate (Schlagzeug). Danach kam noch das langjährige Bandmitglied Cathal Smyth („Chas Smash“, Trompete und Bewegungen auf der Bühne) hinzu, der 1980 ein- und 2014 wieder ausstieg.
Und nun werfen wir einen Blick auf die aktuelle Madness-Besetzung: Es handelt sich dabei tatsächlich um die sechs Herren vom „One Step Beyond“-Cover. Soviel Kontinuität müsste man doch auch hören, dachte ich mir, und siehe da: Ja! Tut man an allen Ecken und Enden, und das Resultat ist ganz hervorragend. Natürlich darf man von Madness Anno 2023 keine Ska-Kracher vom Schlage eines „One Step Beyond“, „Night Boat To Cairo“ oder „Baggy Trousers“ erwarten, aber wer sich auch bei „Embarrassment“ oder „Our House“ auf den Bauch gepatscht fühlt (es wurde Zeit, hier bei Krautnick mal ein Zitat meiner Mutter anzubringen), könnte das neue Album durchaus lieben.
Passend zum sperrigen Albumtitel konnten die wackeren sechs Musikanten aus Camden Town den unter anderem aus „Sherlock Holmes“, der Cornetto-Trilogie und Peter Jacksons putzigen Hobbit-Filmen bekannten und beliebten (und überaus großartigen) englischen Schauspieler Martin Freeman verpflichten, eine Einleitung und diverse Überleitungen zwischen den Stücken einzusprechen, was dem Ganzen den Charakter eines Theaterstücks verleiht und mit den Worten „Mr. Beckett Sir, it’s time, your audience awaits“ sehr stimmungsvoll beginnt. Warten wir also nicht auf Mr. Becketts Godot, sondern auf ihn selbst, beziehungsweise auf Madness.
Diese legen mit dem Titelstück „Theatre Of The Absurd“ gleich sehr eindrucksvoll los: Mit Klavier und Streichern wird ein typischer Madness-Beat aufgebaut und Suggs singt so klasse wie schon seit Jahren nicht mehr. Alle Instrumente spielen sich in die Hände wie sonst nix, ergänzen sich gegenseitig und erzeugen einen warmen, mitreißenden Groove, der bis zum Ende des Albums nicht mehr abreißen wird.
Auf „If I Go Mad“ setzt sich das Schlagzeug pointierter in Szene als auf dem Eröffnungsstück, hinzu kommen die Bläser und Suggs’ routinierter und dennoch nie langweilender Gesang. Abgerundet wird der Gesamtsound von der auf dem ganzen Album immer präsenten Orgel – sind hier wirklich nur fünf Musiker am Werk (also außer dem Sänger, der ja aber kein Instrument spielt)?
Das nachfolgende „Baby Burglar“ bildet den Schluss des ersten Teils des Albums, danach übernimmt wieder Martin Freeman. „Baby Burglar“ beinhaltet eine wunderschöne, Madness-typische Melodie, quasi ein „Night Boat To Cairo“ im Zeitlupentempo, und wartet zu Anfang mit einer klasse Orgel und danach mit den Madness-typischen, immer leicht knarzenden Bläsern auf. Bei dem auf die Freeman-Überleitung folgendem Titelstück „C’est la Vie“ (hihi, schon das zweite Titelstück) knarzt sich auch gleich zu Beginn wieder ein typisches Madness-Saxophon in den Song hinein, und der Rest besticht durch diese Einheit aus Schlagzeug, Bass, Bläsern und Orgel, die Madness hier zelebrieren wie schon lange nicht mehr. Und so grooved es sich wie Sau weiter durch das ganze Album. Es gibt auf „Theatre Of The Absurd Presents C’est la Vie“ keinen einzigen enttäuschenden Song und dafür viele herausragende: Zum Beispiel „What On Earth Is It (You Take Me For?)“: Ein zurückgenommener Ska-Rhythmus trägt das Stück, jeder einzelne Instrumentalpart birgt allerhöchsten Unterhaltungswert und Suggs liefert mit gewohnter Lässigkeit eine Gesangsleistung ab, die die Hörenden fragen lässt, ob der Mann auch mal Luft holt.
Ich würde jetzt gerne versuchen, mich nur noch mit den Höhepunkten des Albums zu beschäftigen (klar, dann bin ich schneller mit dem Schreiben fertig und kann mal wieder ein gutes Buch lesen oder ins Bett gehen, oder mich mit einem guten Buch ins Bett legen), aber welches Stück sollte ich dann weglassen? Das auf „What On Earth“ usw. folgende „Hour Of Need“ beginnt mit einem sehr catchigen Synth, bald von Bläsern begleitet, und auch der Gesang enttäuscht hier nicht, im Gegenteil. „Round We Go“ lässt es dann ruhig angehen, lullt einen mit seiner wunderschönen Melodie ein und auch hier gibt es wieder so viel zum intensiven Hinhören. So geht es weiter und weiter, das Album langweilt einfach nicht und reißt einen in diesen oben schon bejubelten Groove mit hinein, beispielsweise auf „Lockdown And Frack Off“. „Beginners 101“ ist eine ruhige Ballade, bei der ich mich auch schon wieder frage, wie die sechs älteren Herren mühelos eine solch schöne Melodie und eine solche Einheit in musikalischer Hinsicht zaubern können. Mannschaftsdienliche Instrumentalkompetenz, sage ich mal. „Is there Anybody Out There?“ groovt dann sehr laid back vor sich hin und das Saxophon taucht in sehr tiefe Gefilde ab. „The Law According To Dr. Kippah“ ist dann eher langweilig, um hier mal was Negatives zu schreiben, bezeichne ich es sogar als das langweiligste Stück auf dem Album, dennoch ist es sehr gut. Ebenso wie „Run For Your Life“ mit langweiliger Melodie und aufregenden Stakkato-Bläsern. „Set Me Free (Let Me Be)“ ist ein ruhiges Pop-Stück, auf dem sich die Bläser wieder austoben können und das auf so manch anderem Album als einer der Höhepunkte taugen würde, spätestens, wenn das Saxophon quasi ohne Not zu kreischen beginnt. Dann noch „In My Street“, bevor abschließend nochmal Martin Freeman übernimmt: „In My Street“ gibt es mit Sicherheit eine kleine Kneipe, in der sich abends die Bewohner unseres Hauses (in der Mitte der Straße) treffen. Ein schöner Abschluss, sehr stimmungsvoll und wie bislang alles auf dem Album 100% Madness. Und gegen Ende erhebt sich ein gar infernalisches Getröte, dass es die reine Freude ist. Und dann der Freeman so: „Ladies and Gentlemen. This. Is. The End.“ Die Lyrics sind jetzt hier irgendwie zu kurz gekommen, weil gar nicht erwähnt, es lohnt sich aber allemal, in Suggs’ bissige und schön geschriebene Zeilen mal einen genaueren Blick hineinzuwerfen.
Abschließend sei noch das eigentlich nicht zu beschreibende Coverartwork beschrieben: Die Band posiert in merkwürdigen Kostümen (das reicht von Madness, wie wir Madness kennen, mit Anzügen und Sonnenbrillen, bis hin zu einem Sträflingspullover mit Sex-Pistols-Aufdruck, rechts wurschtelt eine Art Crash Test Dummy an einem Industrieroboter herum, eine Drohne fliegt ebenfalls durchs Bild, Suggs trinkt derweil eine Tasse Tee und im Hintergrund erstrahlt ein Atompilz – heller als wie tausend Sonnen. Man sieht es dem Cover an – Madness hatten Spaß, dieses großartige Album aufzunehmen.