Von Guido Dörheide (13.12.2023)
Hier schließt sich ein Kreis: „Unplugged“ war 1993 eins der ersten Neil-Young-Alben, die ich mir (nach „Harvest“ und „Freedom“) als junger Erwachsener zulegte, und damals war ich überwältigt davon, was Young allein mit Stimme, Gitarre und Harmonium auf die Beine stellt. Das war vor 30 Jahren, und mit „Before And After“ legt der Pate des Grunge nun wieder ein rein akustisches Livealbum vor, diesmal auch ohne Publikumsgeräusche. „Mr. Soul“ (im Original vom Buffalo-Springfield-Album „Buffalo Springfield Again“ von 1968) brachte mich damals dazu, zum Buffalo-Springfield-Fan zu werden, und zahlreiche andere Klassiker wie „The Old Laughing Lady“, „Pocahontas“ sowie das damals noch recht neue „Harvest Moon“ veranlassten mich zu einer eingehenden Beschäftigung mit Youngs übrigem Werk. Wie schon damals ist auch auf dem aktuellen Album die Hitdichte nicht sehr hoch (und Young könnte mehrstündige Konzerte geben, ohne auch nur einen einzigen Nicht-Hit zu spielen, aber das macht er nicht), und weiland wie heute steht das den beiden Alben sehr sehr gut. Und dem Guardian war „Before And After“ gleich zwei Rezensionen wert, eine am 08. und eine am 10. Dezember erschienen.
„Before And After“ beginnt mit „I’m The Ocean“, dem (wie ich damals fand) besten Stück des gemeinsam mit Pearl Jam eingespielten Albums „Mirror Ball“ von 1995. Im Original ein zurückgenommenes Gitarreninferno von mehr als 10 Minuten Länge, schafft Young es allein mit der Akustikgitarre immerhin auch noch auf knapp 7 Minuten und reduziert dabei das Stück in ganz hervorragender Art und Weise auf Atmosphäre und Melodie. Weiter geht es mit einer Mundharmonika und „Homefires“, das meines Wissens irgendwann aus den frühen 70ern stammt und bisher nur 2020 auf einem der Archives-Alben veröffentlicht wurde. Wunderschöner Folk, dessen Mundharmonika am Ende ansatzlos in „Burned“ (vom 1966er Buffalo-Springfield-Debütalbum) übergeht. Bei dem Song staune ich, in welchen Höhen Youngs Stimme auch in der zweiten Hälfte seines achten Lebensjahrzehnts noch stattfindet. Und weiter geht es mit Buffalo Springfield: „On The Way Home“ stammt von deren letzem Album „Last Time Around“ (1968) und hat seitdem nichts an seiner zeitlosen Schönheit eingebüßt.
Danach beinhaltet das Album ein tolles Kuriosum: „If You Got Love“, seinerzeit für das Elektro-Album „Trans“ (wir erinnern uns, das mit dem Vocoder-Gesang) geschrieben, aber dort dann nicht mit draufgenommen. Jetzt können wir das Stück hier hören und ich wäre saugespannt, zu hören, wie es seinerzeit gedacht war. In der aktuellen Fassung kommt es mit Harmonium und klarem, hohen Gesang daher, der im Refrain so lieblich klingt, dass man Young am Liebsten in den Arm nehmen möchte. Ein sehr berührendes Stück.
Im Anschluss übernimmt ein sehr lieblich klimperndes Klavier die Führung – klar, so wie auf „A Dream That Can Last“ klang Young im Jahr 1994 auf „Sleeps With Angels“. Dass er kurz zuvor den Grunge-Kracher „Ragged Glory“ und ein Jahr später das ebenso grungebeeinflusste „Mirror Ball“ mit Pearl Jam zusammen aufnehmen würde, hätte ja auch niemand ahnen können. „Sleeps With Angels“ (das mir bei Erscheinen im Übrigen auch sehr taugte und ich weiß nicht, warum ich es in den folgenden Jahrzehnten nur selten gehört habe) findet sich hier noch einmal verewigt, und zwar mit dem übernächsten Stück „My Heart“. Dazwischen gibt es noch „Birds“ von Youngs 1970er Überalbum „After The Gold Rush“. Auch hier wieder viel Klavier, da gibt es weder groß was zu zu sagen noch was dran auszusetzen. Und „My Heart“ zeigt dann aufs Neue, wie unterbewertet „Sleeps With Angels“ selbst bei einem Young-Fanatiker wie mir ist.
Jawoll, und danach betreten wir die Neuzeit, denn „When I hold You In My Arms“ ist gerade mal knapp über 20 Jahre alt und stammt von Youngs 911-Album „Are You Passionate?“ (2002). Nur Klavier und Gesang, großartig. Anschließend wird es wieder Zeit für das Harmonium und die Mundharmonika, also quasi das Mundharmonium. „Mother Earth“ stammt bereits aus 1990, vom legendären „Ragged Glory“, und besticht immer noch durch seine ergriffen vorgetragene Botschaft, wir mögen Mutter Erde nun mal ein wenig besser behandeln müssen, um sie nicht unseren Kindern endgültig wegzunehmen. Das nimmt Youngs spätere Botschaften zum Erhalt der Erde, wie z.B. die Monsanto Years, vorweg.
Und DANN kommen die beiden Hits auf dem Album: Erst „Mr. Soul“ vom 1967er Buffalo-Springfield-Zweitwerk „Again“. Zeitlos schön und großartig, mit Mundharmonika und Harmonium bildet Young auch hier wieder sein eigenes Ein-Mann-Sinfonieorchester, und die Melodie von „Mr. Soul“ ist immer abwechselnd zum Heulen wie am Spieß und zum Niederknien. Einer meiner allergrößten Neil-Young-All-Time-Favourites aller Zeiten und eine der besten Kompositionen der Menschheitsgeschichte. Hier zum neu eingespielt Nachhören, auf dass man sich überzeuge, wer nicht nur einer der größten Songwriter aller Zeiten, sondern auch einer der allerwichtigsten Interpreten seiner eigenen Songs ist. Es folgt „Comes A Time“ vom 1978er Album „Comes A Time“, das nach dem gleichnamigen Stück benannt ist. Auch so ein typisches „Zwischen zwei Alben“-Album von Young: 1977 hat er seinen Fans mit „American Stars’n’Bars“ die Gitarrenrückkopplungen förmlich um die Ohren geschlagen (wir erinnern uns an „Like A Hurricane“) und 1979 mit dem halb akustischen und halb stromunterstützten „Rust Never Sleeps“ in Zeiten des Punkrocks Musikgeschichte geschrieben, die zum einen einen Johnny-Rotten-Verweis und zum anderen das von Kurt Cobain später in seinem Abschiedsbrief verwendete Zitat beinhaltete und zwischendurch? Geht Young bei, schnallt sich Mundorgel und Klampfe um und nimmt ein schmissiges Folk-Album auf, nämlich das großartige und von mir immer im Zusammenhang mit „Long May You Run“ von der Stills-Young-Band gehörte „Comes A Time“.
Mit dem abschließenden „Don’t Forget Love“ betreten wir dann die Neuzeit: Es stammt vom 2021er Album „Barn“ und schlägt sich neben den deutlich älteren Songs sehr gut; es macht sozusagen deutlich, dass Young in seinem durch Nichts zu bändigen Schaffensdrang zwar keine absolut bahnbrechenden und einem die Füße wegziehenden Alben wie „Everybody Knows This Is Nowhere“, „Harvest“, „After The Gold Rush“, „Tonight’s The Night“, „Zuma“, „American Stars’n’Bars“, „Rust Never Sleeps“, „Freedom“, „Harvest Moon“ oder „Mirror Ball“ (sorry für all das Namedropping, ich wollte hier nur mal deutlich machen, was Young seit 1966 eigentlich alles für uns getan hat) mehr abliefern wird und muss, aber als Songwriter, Sänger und Musiker immer noch weder irrelevant noch wegzudenken noch jemals zu vergessen sein wird.