Von Matthias Bosenick (21.11.2023)
Nach rund 25 Jahren mal wieder ein guckbarer Film von Luc Besson! Damit war nicht zu rechnen, aber sein „DogMan“ unterhält gut und überrascht positiv. Um die Geschichte eines Mannes zu erzählen, dessen Freundeskreis aus – realen, nicht CGI-generierten! – Hunden besteht, greift er auf verschiedene Genres zurück, die jeweils einen Aspekt der biografischen Eckpunkte seiner Hauptfigur Douglas abdecken. Die Abstriche bei Plotholes und dem verpuffenden Ende nimmt man in Kauf, denn der Rest ist angenehme Kinounterhaltung.
Die Struktur des Films ist eigentlich kein so frischer Kniff: Ein blutüberströmter Mann wird als Marilyn Monroe verkleidet mit einem Rudel Hunde im Heck seines Transporters von der Polizei angehalten, seine Geschichte und damit den ganzen Film erzählt er der aufgeschlossenen und selbst belasteten Psychologin Evelyn. Rückblenden-Erzählungen kennt man von vielen Filmen, etwa „Die üblichen Verdächtigen“ oder „Forrest Gump“, die ausgehend von einer entscheidenden Situation gleichzeitig nach vorn und zurück erzählen, wobei das nach vorn im Falle von „DogMan“ kaum zum Tragen kommt, denn er sitzt in U-Haft und quatscht, viel mehr ist da nicht. Dafür aber bei zurück.
Douglas‘ Vater richtet Hunde für den Kampf ab und terrorisiert seine Familie. Weil Douglas sich mit den Hunden anfreundet, sperrt der Vater ihn in den Zwinger, in dem er zusehends verwahrlost und zudem aufgrund eines Querschlägers aus der Flinte des Vaters so gut wie querschnittsgelähmt ist. Die Hunde helfen ihm dabei, zu entkommen und in einem Kinderheim untergebracht zu werden, wo er seine Liebe zu Shakespeare, zum Verkleiden und zur Theaterpädagogin findet. Als Erwachsener arbeitet er in einem Hundeasyl, und als das aufgelöst werden soll, richtet er sich mit seinem bunt gewürfelten Rudel in einer verlassenen Schule ein und bestreitet seinen Unterhalt mit Drag-Varieté – und dem, was seine Hunde ihm so aus reicher Leute Behausung anschleppen. Die zumindest ihm gegenüber niedlichen Hunde helfen ihm außerdem dabei, mit brutalen Mitteln den lokalen Mafiaboss und einen Versicherungsdetektiv in Schach zu halten. Vor der Verhaftung können sie ihn jedoch nicht retten, dafür aber sich selbst. Und dann gibt’s am Rande eben noch Evelyn, die mit Baby bei der Mutter lebt und von ihrem Ex gestalkt und misshandelt wird.
Eigentlich ist die von Caleb Landry Jones gespielte Figur Douglas dafür prädestiniert, ein unangenehmer Psychopath zu sein, aber Besson vermeidet diesen Zug. Douglas ist freundlich zu Leuten und richtet seine Forderungen an Arschlöcher mit Bestimmtheit, aber relativ gewaltfrei. Das Verkleiden als Frau ist für ihn nicht sexuell motiviert, sondern hilft ihm, Abstand von seinem realen Ich zu gewinnen, und auch das erscheint nicht als psychopathisches Element, wie es andernfilms so oft zu sehen war, sondern ganz natürlich, wie selbstverständlich, eben, weil es klar ist. In der Art, wie Douglas sich mit Evelyn (Jojo T. Gibbs) unterhält, empfindet man Sympathie für ihn; er lächelt, schwächt ab, relativiert, sortiert ein, er ist reflektiert und kennt seine eigenen Beweggründe. Evelyns Rolle ist es hier nicht, den Zuschauenden die Figur Douglas zu erklären, das bekommt er allein besser hin. Sie stellt lediglich die richtigen Fragen. Seine Bereitschaft, ihr so offen gegenüberzutreten, erklärt er ihr damit, dass er sie beide für Verwandte im Schmerz hält; ein billiger Drehbuch-Trick zwar, aber wenigstens ein schlüssiger.
Diese ganzen Eckpunkte in Douglas‘ Leben inszeniert Besson jeweils als eigenes Genre: blutiger Thriller beim Kampf gegen die Mafiosi, burlesker Revuefilm bei den Szenen im Varieté, Bibeltreue-Hinterwäldler-Horror und Familiendrama in der Kindheit, Detektivfilm bei der Aufklärung der Einbruchserie, „Susi und Strolch“-Heist bei den Einbrüchen, Kostümfilm und Romanze bei den Theaterszenen und letztlich sogar Superheldenfilm, denn Douglas‘ Superkraft ist es, Hunde zu kontrollieren, die dem gehbehinderten Mann als Verlängerung dienen. Darin steckt einiger Humor, doch gehört Comedy nicht zu den Genres, die Besson hier heranzieht, gottlob. Gottlob gelingt es Besson außerdem überzeugend, diese Genres auf eine nicht vorhersehbare, aber stets nachvollziehbare Weise zu verbinden; zu jeder Sequenz hat Douglas eine Erkenntnis, die die nächste Sequenz konsequent erfordert. Die Puzzleteile fallen plausibel zusammen.
Mit einigen Lücken jedoch: Niemals bekommt man zu sehen, dass Douglas seine Hunde abrichtet, sondern lediglich, dass sie ihm aufs Wort folgen, sogar, wenn er Kuchen backt und sie um Zutaten bittet. Das schluckt man aber auch gern, alles andere hätte nur die Handlung verlängert um Selbstverständlichkeiten, schließlich gehen wir ja davon aus, dass er seine Meute unter Kontrolle hat. Lückig ist auch, dass er Wertsachen apportieren lässt, um sich zu finanzieren, diese aber unangetastet in seinem Safe lagern. Seine ungemeldete Unterkunft mag ebenfalls eine Lücke sein, doch liegen die Dinge da in den USA wohl anders als in Deutschland, wo man seine Gage nur auf ein Konto bekommt und das Konto nur mit einer festen Meldeadresse. Auch eine Lücke ist leider der Schluss, der irgendwie verpufft, ganz ohne den Knall, den der ganze Film davor eigentlich permanent ausmacht.
Eine weitere Lücke mag sein, dass man den Film trotz schöner Bilder und Farben und der wechselnden Genres als vergleichsweise konventionell inszeniert empfindet – die Kamera zaubert in Sachen Perspektive und Komposition nicht so sehr, wie sie bei den vielen Etappen sogar sollte. So wild ist das aber nicht, man bekommt den Fokus eben auf die Geschichte gerichtet. Mit Éric Serra verpflichtete Besson einen alten Weggefährten für den dunklen Score, dem man zugutehalten darf, dass er angenehm unauffällig ist. Umso deutlicher treten die Musikstücke zutage, die Besson hier verwertet, etwa von Edith Piaf und Marlene Dietrich bei den Drag-Auftritten oder als Hintergrund zu bestimmten Action-Szenen „La Grange“ von ZZ Top und das obercoole „So What“ von Miles Davis.
Mit „DogMan“ bedient Besson erstmals seit „Léon, der Profi“ wieder überzeugend sein Fanpublikum, das er sich davor mit „Im Rausch der Tiefe“ und „Nikita“ erschlossen und mit allem seit „Das fünfte Element“ verprellt hatte. Zudem stellt „DogMan“ in weiten Strecken auch eine Kritik an der Gesellschaft dar, in der Besson Douglas die Hinterhältigkeit der Menschen selbst in Freundschaften und Familienverbänden thematisieren lässt. Seine Hunde haben nur einen Fehler, sagt er am Anfang: dass sie Menschen vertrauen.