Von Matthias Bosenick (20.11.2023)
Die Neigung zu Alcest klingt auf dem Debütalbum „Nostalgia“ des australischen Quartetts Treebeard an: Atmosphärischer Lärm, flirrende Gitarren, sehnsuchtsvolle Harmonien, der Blick auf die eigenen Schuhe gerichtet. Doch weil es Alcest ja schon gibt, reichern Treebeard ihren Post-Rock mit anderen Elementen an: etwas Doom, heavy groovende Riffs, dreckigen Rock’n’Roll, Psychedelik, analoger Ambient, und nichts davon in reiner Lehre, alles eingebunden in den Post-Metal, Post-Rock, verwebt, vermengt, erweitert. Dunkelheit und Hoffnung liegen hier beieinander, die weitgehend instrumentale Musik greift aus dem Abgrund heraus nach dem Himmel. Wehmut und, ja, „Nostalgia“ bestimmt auch. Bird’s Robe Records bringt das zwei Jahre alte Album der Band aus Melbourne jetzt kurz vor der Veröffentlichung des Nachfolgers auch international auf den Markt. Eine Entdeckung!
Treebeard belegen, dass Dunkelheit eine schöne Seite hat – „Nostalgia“ beginnt zaghaft, zögerlich gar, mit fein angeschlagener leiser Gitarre, mit zarten Tönen, zurückhaltendem Funkspruchsample, und lässt die Gewalt erst nach und nach ausbrechen. Alles im ersten Track „Flatgates“, wohlgemerkt. Das folgende „Ratcatcher“ könnte genau so auch von den späteren Alcest-Alben sein: die typischen hoch gespielten, flirrenden Gitarren, der meditativ-zurückhaltende Gesang. Doch Treebeard bleiben ja bei Alcest-Analogien nicht stehen: Das Stück bekommt zum Ende hin Riffs verliehen, zu denen man brachial mit dem Nacken nicken kann.
Das Atmosphärische liegt dem Quartett ohnehin. Unverzerrte Gitarren und in der Leere zwischen den Tönen angestimmter Chorgesang, behutsames Schlagzeug, gelegentliches Piano, Flächen und Emotionen, Eskapismus und Kontemplation, das bekommen Treebeard bestens hin. Ebenso den Lärm, den Ausbruch, das Losbrechen der Gitarren, die eben noch so verhalten einlullten, und diese Ausbrüche finden so beiläufig statt, dass sie nicht verstören, sondern wie zwangsläufig die Stimmung verändern, die Intensität steigern. Diese Eruptionen gestalten sich mal als Noiserock-Lärm, mal als Groovemetal, mal als irgendetwas dazwischen. Die Wechsel zwischen diesen Polen finden meistens schon innerhalb der einzelnen Tracks statt und ziehen sich quer durch das gesamte Album, wellenartig hebt und senkt sich das Energielevel. Was stets bleibt, ist der Griff zu den Sternen, das Himmelsstürmende, das die Musik transportiert.
Die vier Musiker dieses Kleeblatts sind offenbar bislang noch unbeschriebene Blätter: Gitarre und Gesang steuern mit Josh Bills und Bandkopf Patrick Cooke gleich zwei Leute bei, dazu kommen Bass von Rhys Brennan und Schlagzeug von Beau Heffernan. Kann man sich kaum vorstellen, so perfekt, wie das Debüt ihrer Band Treebeard („Baumbart“) ist. Und noch ein positiver Aspekt: Das Versponnene vieler Progbands, die sich bei J.R.R. Tolkien bedienen, findet sich bei diesen vier Ents gottlob nicht. Von den anderen acht bei Discogs gelisteten Bands mit dem Namen Treebeard indes lässt sich das nicht mit Bestimmtheit von der Hand weisen.