Von Guido Dörheide (19.11.2023)
Ich gebe ja gerne zu, dass ich mir jedes Mal von Neuem auf die Füße sabbere, wenn Dolly Parton mal wieder ein neues Album unter die Leute schmeißt – aber so gespannt wie dieses Mal war ich noch nie: Parton, mittlerweile 77 Jahre alt und seit nunmehr deutlich über 50 Jahren im Musikgeschäft tätig, wurde 2022 in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen, ohne auch nur ein einziges Rock-Album aufgenommen zu haben, und tritt nun heuer an, das zu ändern. Und wie.
„Rockstar“ ist ein Rockalbum geworden, wie es einerseits im Buche steht und sich andererseits gewaschen hat. Ms Parton covert sich auf 30 Songs mit einer Spielzeit von knapp zweieinhalb Stunden kreuz und quer durch die Rockgeschichte, ohne dass die Hörenden auch nur ein einzigstes Mal den Eindruck bekommen, dass sich hier eine alte Musikantin nur mit einer kleinen Hilfe ihrer Freunde gerade so über Wasser halten kann – neien! Wir haben es hier mit einem Album zu tun, auf dem Parton liebevoll ausgewählte Rocksongs covert und sich dabei von zahlreichen Größen des Genres unterstützen lässt. Unterstützen, mehr wirklich nicht, der Rest ist 100% Dolly. Wobei sich die Garde der Unterstützenden wirklich mehr als eindrucksvoll liest (um nur einige zu nennen, Unsympathen wie Kid Rock oder Steven Tyler lasse ich weg): Richie Sambora, Sting, Steve Perry, John Fogerty (!), Warren Haynes, Stevie Nicks (!!), Waddy Wachtel, Peter Frampton (!), Joan Jett (!), Miley Cyrus (!!), P!nk, Elton John (!!!), Melissa Etheridge, Rob Halford, Nikki Sixx, Emmylou Harris und Sheryl Crow, Pat Benatar, Paul (!) Mc(!!) Cartney(!!!) und Ringo (!!!) Starr (!!!!), Mick Fleetwood, Gary Rossington (letzte Performance vor seinem Tod) und der 1977 verstorbene Ronnie van Zant (mit ausdrücklicher Erlaubnis seiner Witwe). Hammer, oder?
Die 30 Songs auf dem Album sind alle großartig, all Killer no Filler, und Dolly interpretiert hier egal was mit einer derartigen Klasse, dass alles, was sie in den letzten Jahren an gewohnt großartigen Country-Alben veröffentlicht hat, eine Reihe zurücktritt und einer völlig neuen Dolly Parton Platz macht – wobei es auch apselut nicht wunder nimmt, mit welcher Grandiosität sie die neue Herausforderung, eine Rocksängerin zu sein, meistert.
Bei 30 Songs wäre ich lieber tot, als würde ich jeden einzigen einer Herz-und-Nieren-Inaugenscheinnahme unterziehen wollen, aber ein paar Highlights möchte ich hier dann doch gerne mit dem knallgelben Textmarker bearbeiten:
„Every Breath You Take“: Die ewige Hymne, die Frischverliebte sich auf Radio 21 gegenseitig an den Hals wünschen, kommt hier musikalisch kaum verändert daher. Aber mit Partons Gesang ändert sich alles, wundersamerweise klingt es umso lieblicher und nicht nach der Stalker-Hymne, die es ist.
„Long As I Can See The Light“: Während CCR weiland einfach so losbratzten, beginnt Dolly den Song mit einem ruhigen Klavier, dann stimmt John Fogerty mit ein, und anschließend singen beide weiterhin abwechselnd zu einer sehr schönen Midtempo-Begleitung.
„Purple Rain“: Hier konnte der ursprüngliche Künstler aufgrund seines Ablebens im Jahr 2016 nicht mehr kooperieren, Dolly Parton macht dennoch nichts falsch und liefert eine Eins A Hommage ab.
„Baby I Love Your Way“: Das klingt original wie aus den 70ern und schöner als Framptons Original. Und noch schöner: Er hilft dabei, es besser zu machen als damals.
„Wrecking Ball“: Hier handelt es sich leider nicht um den Neil-Young-Song, den Emmylou Harris ihrerzeit so coverte, dass das Original dagegen deutlich am Verblassen war, sondern um das 2013er Werk von Miley Cyrus, dem Dolly hier allerdings mithilfe der Originalkünstlerin neues Leben einhaucht. Und Miley ist ja auch wirklich nicht verkehrt und insofern auf diesem Album auch alles andere als fehl am Platz.
„Heart Of Glass“: Kann man sich jemanden vorstellen, der diesen Song genauso gut singen könnte wie Deborah Harry? Dolly kriegt es hin.
„Don’t Let The Sun Go Down On Me“: Wenn wir uns jemals ein Duett zwischen Dolly und Elton gewünscht haben: Hier ist es! Also Elton John und Dua Lipa im Duett waren ja schon mal richtig gut, aber Elton John und Dolly Parton (Ehrlich jetzt! Alle beide könnten meine Mutter sein. Also vom Alter.) hauen es nochmal richtig raus.
„Stairway To Heaven“: Hätte sie sich sparen können, wobei sich ihr Gesang toll anhört. Selbiges gilt für „We Are The Champions/We Will Rock You“ – man kann Dolly einfach nichts übel nehmen und sie macht auch niemals wirklich was falsch.
„Bygones“: Uuuuh – Dolly Parton und Rob Halford gemeinsam auf einem Song – da kann auch Nikki Sixx nix mehr kaputtmachen. Ein Song, der Laune macht.
„What’s Up“ (haben die eigentlich danach diesen urst erfolgreichen Messenger-Dienst benannt?): Dolly singt genauso ätzend wie Linda Perry im Original und wird im Laufe des Songs noch von dieser unterstützt – was will man mehr? Eigentlich nichts, in meinen Ohren krankte der Song damals nur an der Stimme von Linda Perry, und das hat Dolly hier jetzt schön korrigiert. Ein weiterer Song, mit dem ich im Alter meinen Frieden machen kann. Watt schön!
„You’re No Good“: Dolly Parton, Emmylou Harris und Sheryl Crow zusammen auf einem Song – was soll da schief gehen? Wun. Der. Bar.
„Bittersweet“: Hier bitte einfach mal mal auf den tollen Gegensatz von Dollys rauhem, brüchigen Gesang und Michael MacDonalds warmen Gegenstück dazu achten und einfach nur dahinschmelzen. OK?
„Let It Be“: „Lass es sein“ sagten wir damals zu Abi-Zeiten immer, trotz guten Englischunterrichts bei W. Zwillich nichts oder kaum etwas verstehend. Dolly trotzt dem wohl abgenudeltsten und abgeschmacktesten Beatlessong aller Zeiten noch wirklich was Tolles ab. Unterstützt von Paul und Ringo. Dem Lieblingsbeatle von Marge Simpson.
„Free Bird“: Dollys Gesang ertönt hier anfangs nur von einem Klavier begleitet, klingt toll, dann kommt noch Ronnie van Zant hinzu, und Gary Rossington spielt sein letztes Solo. Besser könnte man dieses Album nicht beenden.
Musikalisch ist das Ganze natürlich total professionell, aber trotzdem sehr warm und nicht irgendwie seelenlos eingespielt worden. Kurz: Es hört sich toll an und Dollys Stimme reißt uns alle mit. Wie immer.
Wem das hier jetzt gefällt und immer noch nicht reicht, dem empfehle ich für die bevorstehenden Feiertage noch Partons 2020er Weihnachtsalbum „A Holly Dolly Christmas“. Macht man nix falsch mit.