Von Matthias Bosenick (07.11.2023)
Es geht in der Tat so weiter, wie es der Schluss des ersten Teils andeutet: Ein durchgeknallter Wissenschaftler will das noch nicht so bezeichnete Marsupilami, also die dem Buch den Titel „Die Bestie“ gebende Fantasiekreatur, für seinen Ruhm einfangen. Das Autorengespann Zidrou und Frank Pé behält die Melange aus düster, schlüpfrig und kindgerecht weitgehend bei, schiebt aber Action und Herzenswärme dazu und bringt die monströse Lektüre zu einem gelungenen und hell strahlenden Abschluss. Damit ragt der zweite Teil erfreulicherweise über den ersten hinaus, und die Zeichnungen sind abermals ein Weltwunder für sich, das auch ohne den Inhalt zutiefst beeindruckt.
Zur Erinnerung: Die Geschichte spielt im Jahre 1954 in Antwerpen, also nach der Besatzungszeit durch die Deutschen, die nach wie vor elementar nachhallt. Im echten Leben ließ André Franquin das Marsupilami nur zwei Jahre zuvor im Rahmen der von ihm übernommenen Comicserie „Spirou & Fantasio“ auftreten, „Die Bestie“ erzählt hingegen eine alternative Entdeckergeschichte. Nach der kam das Tier in einem heruntergekommenen Frachter nach Belgien, wo es zunächst umherirrte und alsbald auf den Schuljungen Franz bzw. François traf, dessen Vater ein deutscher Soldat war, was die Nachbarschaft ihm und seiner auf dem Markt Muscheln verkaufenden Mutter fortwährend herablassend unter die Nase reibt. Weil ihn ein Mitschüler an die Behörden verrät, kommen Franz’ gehortete Tiere nahezu vollständig in ein Tierheim, darunter auch das Marsupilami.
Da setzt Teil 2 an: Noch hockt François‘ Menagerie im heruntergekommenen Tierasyl, da macht sich der aufschneiderische Kryptozoologe Sneutvelmans daran, als ausgewiesener Mitarbeiter eines staatlichen Museums das Marsupilami in seine Griffel zu bekommen. Parallel befreit Franz mit einigen der verbliebenen Tiere seinen Gelbschwanz versucht, mit ihnen nach Deutschland zu fliehen, um seinen Vater zu finden, strandet jedoch in Brüssel. Das bringt die Behörden auf den Plan, weil die Mutter den Jungen als vermisst meldet, und den Grundschullehrer, der nach wie vor eine Vorliebe für die Mutter hat – die indes mehr auf die Uniform des Polizisten steht. François erfährt unerwartete Unterstützung von Mitschülern, die etwas Wesentliches begriffen und sich solidarisch zeigen.
Zeichner Frank Pé und Texter Zidrou kreieren ein vielschichtiges Actionabenteuer mit trockenem Humor und doch noch viel Herz. Die angerissenen Themen, die den ersten Band noch so deprimierend dominieren, reichen hier als Anriss aus; die Last, die die Deutschen den Belgiern auferlegten, ist zwar Thema, aber dieses Mal als Basis für eine neue Solidarität, die von den Kindern ausgeht. Dennoch ist „Die Bestie“ in der Fortsetzung weit weniger an Kinder ausgerichtet als der Auftakt, und das, obwohl gleichzeitig auch die erwachsenenorientierte Notgeilheit der Mutter reichlich zurückfährt. Zum Kasper machen darf sich der verspulte Lehrer trotzdem, dem sie sich zunächst scheinbar anbietet und dann doch dem Uniformierten den Vorzug gibt; abermals ein Element der Handlung, das einem eher egal ist.
In ihrer Klimax erfährt die Geschichte einen Bruch zum Guten, der zwar glücklich macht, aber nicht so ganz plausibel ist, was einem wiederum egal ist, weil man ja bereits glücklich ist. Es ist wie in der Verfilmung von „Herr der Ringe“, als Peter Jackson das Ensemble nochmal stundenlang die Tränendrüsen bearbeiten lässt: Wundervoll gezeichnet kehrt das Marsupilami in seine Heimat zurück, nachdem es eben diesen Namen erst erhielt; der verstrahlte Kryptozoologe hält es für ein beutelloses Beuteltier, wissenschaftlich Marsupialia, wovon François am Hafen in letzter Sekunde das Wort „Marsupilami“ ableitet, was die anwesende Presse stehenden Fußes aufgreift. Erst jetzt, im letzten Moment, lehnen die Autoren „Die Bestie“ ans Spirou-Universum an, denn bei der Reporterin handelt es sich um Steffani. Das kommt nicht wie hineingezwungen, sondern man nimmt es willkommen an, dass Spirous ärgste Konkurrentin hier als einzige bekannte Figur auftreten darf.
Um es nicht unerwähnt zu lassen: Die Zeichnungen sind grandios. Das hier ist mehr als ein Comic, das ist Kunst. Wie Frank Pé die Seiten aufteilt, jedes Blättern öffnet ein neues Universum. Wie er zeichnerisch inhaltliche Brücken schlägt, wie er die einzelnen Erzählstränge nicht Seite für Seite verfolgt, sondern mittendrin, aber optisch ähnlich, wie einzelne Seiten wahre Wimmelbilder sind, in denen man sich verlieren mag, wie er das Licht in die Geschichte zurückholt, die noch im ersten Teil so unerbittlich düster war. Obschon diese Fortsetzung mit 30 Euro sogar noch um 5 Euro teurer ist als der Auftakt, ist man am Ende doch wehmütig, dass die Geschichte damit abgeschlossen ist. Besser übrigens als „Das Humboldt-Tier“ von Flix ist „Die Bestie“ außerdem. Und passt kurioserweise zum letzten band der Hauptreihe, „Der Tod von Spirou“, in dem es zum Schluss heißt, Steffani übernähme fortan die Titelrolle.