Von Onkel Rosebud
Meine Freundin mag Bernd Begemann nicht. Und wenn ich schon mal dabei bin, Olli Schulz ebensowenig. Stimmlage, nasale Intonation, die Alte-BRD-Besserwisser-Attitüde, der Blick auf die Dinge aus Sicht des weißen, hanseatischen Mannes – nicht ihr Ding. Kann ich verstehen, aber ich finde, dass gerade der Bernd mit seiner seit über 30-jährigen Vita sich bis heute nonchalant, weltgewandt, ein bisschen arrogant, aber auch verletzlich und vor allem authentisch durch das Leben kauzt.
Als es noch keine Podcast-Charts gab und gefühlt jeder C-Promi in diesem Land einen hatte, genau genommen seit Februar 2006, betreibt Bernd Begemann die Sendung „Ohrensessel – Die gemütliche Filmlounge“. Anfangs dabei Benjamin Maack und Ben Schadow, dessen Markenzeichen bis heute ist, keinen substanziellen Beitrag zu den Kinobesprechungen zu leisten. Bernd Begemann weiß alles über Film und agiert als Paganini der Abschweifung. Der Journalist und Schriftsteller Benjamin Maack war sein kongenialer, intellektueller Gegenspieler. Unvergessen, die Folge über den unbedingt sehenswerten Blockbuster „Die Reifeprüfung“ mit Dustin Hoffman in seiner ersten großen Rolle. Benjamin Maack ist zutiefst berührt von der Handlung, wie der College-Absolvent Benjamin Braddock nacheinander zwei „verbotene“ Beziehungen eingeht: zunächst die zu einer verheirateten Frau, dann die zu ihrer Tochter. Für Bernd war das alles zu engstirnig und miefig, doch Herr Maack kämpfte enthusiastisch, auf naive, beinahe zerbrechliche Art um die Ehre seines Lieblingsfilmes. Ein Fest!
Nach einer kreativen Pause und einem Rechtsstreit um die Marke „Ohrensessel“ kehrten Bernd und der stille Ben 2010 als „Flimmerfreunde“ wieder zurück. Die Dreifaltigkeit des Cineplex wurde mit Filmemacher Kay Otto neu besetzt. Das geht bis heute gut und damit gilt die Ohrensessel/Flimmerfreunde-Crew als dienstältester deutschsprachiger Podcast mit Niveau. Selbst „Fest und Flauschig“/„Sanft und Sorgfältig“ mit Jan Böhmermann und Oliver Marc Schulz bringt es nicht annähernd auf diese Dienstzeit – und davon abgesehen – nicht mit der anhaltend hohen Qualität. Nach dem Ausstieg von Benjamin Maack haben die drei Flimmerfreunde nie wieder ein Wort über ihn verloren. Doch bei jeder Ausgabe frage ich mich, was ist bloß mit ihm passiert? Weil ich Benjamin Maacks Stimme und seine klaren Gedanken vermisse.
Deshalb hier die Auflösung: Zuerst machte er Karriere im Printbereich bis zum Ressortleiter „Panorama“ beim Spiegel. Von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wurde er 2012 als einer der 20 wichtigsten jungen Autoren der Gegenwart gelistet. Dann wurde es ruhig. 2020 erschien „Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein“ als Text bei Suhrkamp und als Hörspiel für den NDR. Darin verarbeitet Benjamin Maack die Erfahrungen mit seiner depressiven Erkrankung. Er berichtet darin in Tagebucheinträgen, Skizzen, Momentaufnahmen, Selbstgesprächen oder Lyrik ehrlich und nüchtern von der Anziehungskraft einer Selbstmordgedankenmaschinerie, die sein Familienleben zusehends erschwert und aufgrund derer er sich in die Psychiatrie einweist.
Am 08.08.2021 tauchte er stimmlich und gedanklich nicht klar, weil unter Medikamention, wieder öffentlich auf. Bei Harald Schmidt im Podcast-Format „Raus aus der Depression“. Markenzeichen der Sendung ist immer ein anderer Gast und am Ende analysiert der Protagonist Schmidt das Gespräch mit den jeweiligen Gästen mit einem sogenannten Experten.
In der Ausgabe mit Benjamin Maack spricht er mit seiner Frau darüber, welche Folgen Depressionen auf Partnerschaften haben können, ob Depressionen ein Trennungsgrund sind, was Partnerinnen und Partner tun können und ob Einsamkeit ein Grund für eine Depression ist. Benjamin Maack erzählt ganz von innen über seine Depressionen, die einfach wiedergekommen sind, obwohl er sie schon für überwunden geglaubt hatte.
Nun weiß ich zwar Bescheid, aber so ein Text wird wirklicher Tiefgründigkeit über das Schicksal eines Menschen nicht gerecht. Oberflächlich betrachtet ist Benjamin Maack Vater geworden, war damit überfordert, hatte zu hohe Ansprüche an sein professionelles Selbst, war nicht in der Lage, Ruhepausen einzulegen, und ihm war auch nicht möglich, sich über kleine, schöne Alltäglichkeiten zu freuen. Unglücklich, aber mit Glück überschüttet, erschöpfte er an seiner eigenen Anforderung, bis er keine Liebe für seine Nächsten mehr empfinden konnte.
Lieber Herr Maack, zusammengerollt in eine Decke voller Geborgenheit, handsigniert von Olli Schulz wünscht weiterhin gute Genesung,
Onkel Rosebud
P.S.: Benjamin Maack empfiehlt gegen Depression folgende Liste:
Mach‘ keine Listen.
Entschuldige Dich nicht.
Werde nicht dünnhäutig und reagiere nicht über.
Lege Dir ein Safeword für die Kommunikation mit Deinen Liebsten zu.