Von Matthias Bosenick (20.10.2023)
Ein merkwürdiger „Fall“, der auf weite Strecken eigentlich gar keiner ist, sondern eine Vision des Autoren-Zeichner-Gespanns Calle Claus und Christopher Tauber davon, wie es zwischenmenschlich bei den Drei Fragezeichen sowie Justus Jonas‘ Ex-Freundin Lys de Kerk und ihrem Bruder Yan so aussieht. Die Dynamik bekommen sie glaubhaft gemeistert und betten sie dann doch in kriminelle Geschehnisse ein, die um Kryptozoologen und Hollywood-Business kreisen und in einen Massenmordanschlag münden. Hier ist einiges besser gelungen als im vierten Comic mit den Wrestlern – und als in der Hauptserie sowieso. „Hotel Bigfoot“ ist eine wohlige Herbstlektüre, die über die nicht immer überzeugenden Zeichnungen hinwegsehen lässt.
Ausgerechnet die allerschlechteste Episode der noch in den USA erschienenen Vorlagen ist der indirekte Ausgangspunkt für „Hotel Bigfoot“: „Angriff der Computerviren“, in dem die titelgebenden virtuellen Erreger Monitore zum Explodieren bringen. Aber es ist der Ursprung von Justus‘ großer Liebe, denn Justus, Peter und Bob begegnen den Geschwistern Lys und Yan de Kerk an einem Filmset. Lys und Justus sind sich im Nerdsein so ähnlich, dass daraus sofort eine Beziehung entsteht – und Mädchen fortan einen festen Platz in Rocky Beach haben, denn auch Peter und Bob haben mit Kelly Madigan und Elizabeth Zapata bald Freundinnen. Die jedoch länger in Schrottplatznähe verweilen als Lys, weshalb eine Reaktivierung dieser unvergessenen Figur ein schöner Aufhänger ist.
Wir lernen, dass Justus und Lys eine Ex-Beziehung pflegen, die auf Kontaktvermeidung und Zickigkeit basiert. Dummerweise sind die Drei Fragezeichen jedoch Teil des Filmteams, das in tiefen Wäldern inmitten eines Gebietes mit regelmäßigen Bigfoot-Sichtungen den siebten Teil eines Horror-Franchises drehen sollen, nämlich den des Erfolgs-Blockbusters „Bigfoot“. Seine erste Arbeit als Regisseur fasst Lys‘ Zwillingsbruder Yan als Chance auf, um im Biz große Füße fassen zu können, was seine eigentlich von Hollywood abgewandte Schwester dazu bewegt, sich an dem Projekt zu beteiligen. Der erste fallartige Fakt ist nun, dass es am Set häufig zu Sabotageakten kommt, und da sind die Drei Fragezeichen, die eigentlich Teil der Second Unit sind und das Making-Of gestalten sollen, erstmals als Detektive gefragt.
Zweites Standbein der Geschichte ist das Hotel aus dem Titel, in dem gleichzeitig mit dem Filmteam eine Horde Sasquatch-Gläubiger unterkommt, um einer Sitzung mit ihrem geistigen Anführer Bucky Berg beizuwohnen. Als Schnittstelle macht man schnell die Hotelbetreiberin aus, die ihre Herberge mit Devotionalien dekoriert, und zwar sowohl von dem gesuchten Fellkryptiden als auch von den bisherigen sechs Filmen. Und dann gibt es da noch das Vorhaben der lokalen Rangerin, das Tal zu fluten, in dem sowohl die Dreharbeiten stattfinden als auch die Hütte steht, von der es heißt, Bigfoot-Jäger seien darin einmal von einer ganzen Fellmensch-Familie umlagert gewesen. Die Gerüchtegläubigen gehen gegen das Vorhaben an, sie machen dabei sogar eine neue, unheimliche Spezies aus, und das Filmteam steht trotzdem unter Zeitdruck. Ja, genau: Wo ist da der Fall?
Es ist beinahe egal, dass man es nicht wirklich mit einem konkreten Fall zu tun hat, denn Claus und Tauber erzählen die Geschichte dennoch spannend, aufschlussreich, mit Aha-Erlebnissen. Sehr wohl bringen Justus, Peter und Bob verborgene Informationen ans Tageslicht, decken sogar mehrere Verschwörungen auf und geraten unerwartet in Lebensgefahr. Die Handlung macht Sprünge und ergibt dennoch einen nachvollziehbaren Fluss, in dem alles miteinander weggespült wird. Doch sind die Offenbarungen, abgesehen von denen zum Vandalismus, nicht die Ergebnisse einer Recherche zu einem konkreten Fall, sondern treten überraschend auf den Plan.
Die Diskussion darum, inwieweit die Figuren dem ähneln, was man sich so nach über 50 Jahren Lektüre und 44 Jahren Hörspielen so vorstellt, ist nach diversen Filmen, 30 Jahren Vollplaybacktheater sowie drei Classic-Comics, einem Erwachsenen-Comic und nun der fünften Graphic Novel mit neuer Geschichte obsolet. Über das Aussehen sieht man hinweg und nimmt die Figuren einfach als das hin, was sie sein sollen. Kritisch ist höchstens, dass die Zeichnungen bisweilen leicht ungenau wirken und damit etwas Amateurhaftes vermitteln, aber auch das lässt sich wegschmökern, denn insgesamt sind die Bilder anschaulich und die eingearbeiteten Details grandios. Da greifen die Expertisen von Texter und Zeichner bestens ineinander, wenn sie etwa die sechs „Bigfoot“-Filme anreißen: Die Filmplakate und die Inhaltsangaben sind derartig überzeugend, dass man sofort googelt, ob es diese Filme nicht wirklich gibt. Am Schluss bauen sie einen Gag ein, der das Sequel-Thema aufgreift, nämlich ein Kinoplakat für „Der 4-äugige Totenkopf“, einer hoffentlich niemals umgesetzten Fortsetzung des ersten Comics der Drei Fragezeichen, damals noch von Tauber gezeichnet und von Ivar Leon Menger und John Beckmann getextet.
Man lernt eine Menge in diesem Buch, mit in Rot abgesetzten Fachbegriffen aus der Filmbranche, die man als Erwachsener weniger benötigt als als Halbwüchsiger, sowie über den liebenswerten Wahnsinn, der Kryptozoologen so antreibt. An die ersten drei Graphic Novels kommt „Hotel Bigfoot“ angenehm nahe heran und macht den verunfallten Wrestlingfall „Der Goldene Salamander“ wieder wett.