Von Guido Dörheide (16.10.2023)
Fun Facts vorab: Die fünf Mitglieder von The National haben insgesamt nur drei Mütter und drei Väter und nur vier verschiedene Geburtstage. Neben Matt Berninger (Gesang) besteht The National aus den beiden Brüderpaaren Bryce (Gitarre, Keyboards)/Aaron (Gitarre, Bass, Keyboards) Dessner und Bryan (Drums)/Scott (Bass, Gitarre) Devendorf, wobei es sich bei den Dessners um Zwillinge handelt.
Aaron Dessner bildet zudem mit Justin Vernon von Bon Iver das Indie-Rock-Duo Big Red Machine. außerdem war er am Songwriting und an der Produktion für Taylor Swifts beiden Folk-Alben „Folklore“ und „Evermore“ beteiligt, und an letztgenanntem Album haben auch Justin Vernon, Matt Berninger und Bruder Bryce mitgewirkt. Aufzuzählen, in welchen Produktionen einzelne Mitglieder von The National noch überall ihre Finger drin haben, würde hier den Rahmen sprengen; auf jeden Fall sind The National in der kontemporären Populärmusik so weit verwurzelt, dass diese ohne sie nicht das wäre, was sie ist. Eine ganz tolle Sache nämlich, die glücklich macht und dem Leben einen Sinn gibt.
„Laugh Track“ (zu deutsch in etwa „Die Spule Nummer 9 mit dem Klatschband“) ist heuer nach dem im April erschienenen „First Two Pages Of Frankenstein“ bereits die zweite Albumveröffentlichung der Band aus Cincinnati, Ohio, und seit 2001 die insgesamt zehnte. Das Coverartwork des aktuellen Albums nimmt Bezug auf das des Vorgängers: Zweiteres zeigt einen kleinen Jungen, der einen künstlichen Kopf, der ein wenig realistischer als eine Schaufensterpuppe aussieht, in den Händen hält, auf dessen Stirn ein Zettel mit der Aufschrift „Paul“ klebt. Der Hintergrund fehlt, man sieht nur eine helle Fläche. Das aktuelle Albumcover zeigt dasselbe Foto des Jungen mit dem Kopf von Paul, nur diesmal sind im Hintergrund eine Sofalandschaft und zwei Bücherregale zu sehen, eins mit einem Durchgang zum Nebenraum.
Wie es die Titelbildgestaltung schon vermuten lässt, sind beide Alben ähnlich geartet, was aber bei The National durchaus normal ist, es handelt sich um eine Band mit Wiedererkennungswert (mit Ausnahme des 2017er Albums „Sleep Well Beast“, das so gewöhnungsbedürftig produziert ist, dass ich es bis heute von allen The-National-Alben am wenigsten gern höre).
„First Two Pages Of Frankenstein“ begann mit einem Piano und Berningers Bariton, der immer leicht fragend und ironisch und dabei sehr nachdenklich bis schwermütig klingt, außerdem wirkte Sufjan Stevens (den ich sehr verehre, ohne über ihn zu schreiben, da sich seine Alben jeglicher Beschreibung, zu der ich verbal imstande wäre, entziehen) beim ersten Stück mit. Im weiteren Verlauf des Albums mischten auch Phoebe Bridgers und Taylor Swift mit. Auf dem aktuellen Werk fehlen Stevens und Swift, dafür hat Justin Vernon für „Weird Goodbyes“ gleich seine ganze Band Bon Iver mitgebracht, Phoebe Bridgers unterstützt beim Titelsong und kurz vor Ende des Albums ist Rosanne Cash (bis heute weiß ich nicht, ob sie es war oder ihre Halbschwester Carlene Carter, die für das grandiose Zitat „Well, if that don’t put the ‚cunt‘ back in country, I don’t know what does“verantwortlich zeichnet. Auf jeden Fall war es Hank Williams III., der Jahre später ergänzte, „and the dick back in Dixie“. Exkurs nutzloses Wissen Ende.) mit von der Partie.
À propos Party: Ebenso wie „Frankenstein“ ist „Laugh Track“ ein ruhiges, melancholisches Album, aber an ein oder zwei Stellen donnern The National auf dem aktuellen Werk mal in einer Weise los, die es auf dem Vorgänger nicht gab, und lassen es krachen. Dazu kommen wir noch.
Wir waren beim „First Two Pages Of Frankenstein“ einleitenden Piano: „Alphabet City“, der Opener von „Laugh Track“, beginnt stattdessen mit einem elektrischen Klavier, und auch etwas schneller gespielt, hinzu gesellen sich Synths und eine hingetupfte E-Gitarre sowie Berningers Bariton, der sofort klarmacht, dass wir hier bei The National sind. Der Text ist sehr schön, handelt von Verlust und macht Hoffnung aufs Wiederfinden. Zu Anfang heißt es „Take forever off anytime you want / I’ll save your place / If anybody asks, I’ll say you’re coming back / We’ll just have to wait.“ und am Ende „I’ll still be here when you come back from space / I will listen for you at the door. Sometimes I barely recognize this place / When you’re with me, I don’t miss the world.“ Klingt schön, klingt aber auch traurig. Auf „Deep End (Paul’s In Pieces)“ werden dann Tempo und Härte ein wenig angezogen, und zwar auf The-National-Art-und-Weise: Das Schlagzeug wird schneller, die Instrumente jangeliger und Berningers Gesang macht eigentlich weiter wie immer. Werden wir nun erfahren, was es mit dem Paul vom Coverbild auf sich hat? Ob er gar das Walross gewesen war? Nein, auch Paul scheint eher wegen eines schmerzlichen Verlusts in Trümmern zu liegen: „I can’t stop myself from thinking about you all the time / I’m always trying to tune you out, but I’m gonna let you in tonight. When the sound of your voice comes through, it’s hardly there, but it’s all I care about.“ Glücklich wird man so nicht, aber als Songtext ist sowas durchaus sehr anrührend und auch irgendwie herunterziehend. Und vor allem sehr schön anzuhören.
So geht es weiter und weiter und ich für meinen Teil kann von diesen ruhigen, melancholischen The-National-Songs nicht genug kriegen. Soweit zu dem, was ich erwartet habe. Kommen wir nun zu etwas völlig Anderem: Meinen persönlichen Highlights des Albums.
Da wäre zunächst das Titelstück, zusammen mit Phoebe Bridgers: Es plätschert nur so vor sich hin, aber wie das Plätschern so fließt und dann diese Melodie – großartig.
Und dann „Space Invader“: Mit akustischer Gitarre und sanftem Gesang baut sich das Stück langsam auf, um dann bei Minute 2:00 eine sehr hypnotische Gesangsmelodie zu entwickeln, hinter der Bryan Devendorf sein Schlagzeug mal ordentlich donnern lässt, dennoch bleibt der Song vorerst ruhig. Nach einem ebenso ruhigen Zwischenspiel, an dessen Ende Berninger den Bariton Bariton sein lässt, um seehr tief zu murmeln, steigert sich das gesamte Instrumentarium dann in einen wahren Rausch aus verhaltenem Krach, sich überschlagenden Drums und unheimlich zurückgenommen jaulend klimpernden Gitarren hinein, bis es auf einmal ausfadet.
Kurz vor Schluss kommt dann „Crumble“, von Rosanne Cash und Berninger sehr schön gesungen und mit einer tollen Melodie, und dann „Smoke Detector“ als das das Album beschließende Stück. Ein klasse Gitarrenriff und ein zurückgenommenes, aber schnelles Schlagzeug, das auch zu JJ Cale passen würde, hektischer Gesang, leicht atemlos, das Ganze steigert und steigert sich, die Instrumente werden lauter und Berningers eh schon manchmal altersbedingt brüchig daherkommender Bariton raunt und murmelt, bis er bei Minute 1:48 auf einmal gefühlt eine Oktave hochschnellt und an Energie zulegt. Anschließend geht es auf und ab, die Melodie hypnotisiert wieder einmal mehr und ab Minute 4:24 schreit Berninger, zumindest für seine Verhältnisse (er redet selbst dann noch, wenn er eigentlich schreit), die Gitarren quietschen, das Schlagzeug poltert, die Melodie begeistert, dann brauchen die Hörenden mal wieder etwas Ruhe, also fahren The National den Song in den noch verbleibenden Minuten kontrolliert runter, allerdings nicht ohne kurz vor Schluss nochmal alles zu geben, inkl. Gitarrensolo und fiepsenden Synths; mit 7:47 Minuten ist „Smoke Detector“ der längste Song auf dem ca. einstündigen Album und lässt mich mit dem Eindruck zurück, gerade eben das bewegendste Stück Musik von The National gehört zu haben.