Von Matthias Bosenick (01.08.2023)
Wer fast eine Dekade für sein Debütalbum braucht, weil er die Zeit davor zunächst als Coverband und bald mit Eigenkompositionen herumtourt, hat in der Regel für seinen Auftakt eine Menge erprobtes und grandioses Material zusammen, und diese Regel ist auch auf die Düsseldorfer Band Streetmark anwendbar. Mit einer klassischen Ausbildung und aus der Lehre bei den Größen des noch relativ jungen Progrocks entwickelten Streetmark einen eigenen Sound, der Rockmusik mit Orgel und Klassik kombiniert, was das frische Label Sky Records 1975 dazu bewegte, die Band gleich für alle vier Alben unter seine Fittiche zu nehmen. Sireena wirft das Debüt „Nordland“ nun auf CD wieder in den Ring, und es klingt erstaunlich frisch für seine 48 Jahre.
Was der Schlagzeuger da zaubert, treibt den Rest der Band so richtig vor sich her, teils krautig-monoton, überwiegend agil, lebendig, organisch, dynamisch, mehr als nur die rhythmische Grundlage für die Tracks. Und dann heißt der Mann auch noch Hans Schweiß, keine Witze über Namen! Auch Bassist Wolfgang Westphal ist mehr als nur der Achtelgeber, er hat den Groove immer dabei. Seinen Sound findet Gitarrist Thomas Schreiber bei so vielen Vorbildern, dass man ihn als originär bezeichnen muss; hier kommen die zuvor gecoverten Einflüsse zum Tragen, aber auch die Kollegen aus Raum und Zeit, etwa Birthcontrol, Procol Harum, Yes, Focus, also Krautrock bis Progrock, und nicht zu vergessen Deep Purple, was aber auch an der Orgel liegt, die Keyboarderin Dorothea Raukes hier so stilprägend einsetzt. Und dann drückt auch Sänger Georg Buschmann dem Debüt seinen Stempel auf, abwechslungsreich wie nix, nicht selten an Peter Gabriel oder dessen späteren Wiedergänger Fish erinnernd.
Nun verfügten Raukes und Schreiber über eine klassische Ausbildung, und die schlägt sich in den Kompositionen hörbar nieder, die immer wieder durchdrungen sind von musikalischen Ausflügen in zurückliegende Jahrhunderte, wenn etwa das Keyboard wie ein Spinett klingt oder manche Melodieführung so etwas wie Rondo Veneziano vorwegnimmt, nur in gut. Das Komplexe der Klassik liegt ebenfalls in den Stücken, doch wissen Streetmark sehr gut, wie sie diese rockdienlich einbringen, um gleichzeitig anspruchsvoll und Rock’n’Roll zu sein. Und Stimmungen zu erzeugen, insbesondere ab der zweiten Seite geht es streckenweise psychedelisch und spacig zu, bevor die Band wieder aufdreht. Die Mischung ist rockig, auch mal aggressiv, nicht selten verspielt, und bindet mit jeder Windung die Aufmerksamkeit der Hörenden. Wenn etwa im ersten Track „House Of Three Windows“ die Sequenz „Green Velvet Curtains“ den Anschein erweckt, „In der Halle des Bergkönigs“ von Edvard Grieg zu zitieren, aber stattdessen unvermittelt in eine entschleunigte Version von „Eleanor Rigby“ der Beatles übergeht, ist Streetmark die Überraschung gelungen. Und bei aller Freude am Progressiven ist die Band um Eingängigkeit auch nicht verlegen, man mag das Album gern wiederhören.
An der Produktion des Debüts beteiligt war der ehemalige zweite Gitarrist der Band, Bernd Schreiber, Bruder von Thomas, und als Mann an den Reglern ist er hier der Sidekick der Produzentengröße Conny Plank, der zusätzlich die Sequenz „Waves And Visions“ der wie das gesamte Album „Nordland“ genannten B-Seite komponierte. Mit „Eileen“, „Dry“ und „Sky Racer“ folgten bis 1981 drei weitere Streetmark-Alben bei Sky Records, mit „Lovers“ warf das vorletzte 1979 sogar eine Hitsingle ab. Schon nach dem Debüt wechselten indes die Besetzungen, so stieg Sänger Buschmann aus, um die ebenfalls bei Sireena wiederveröffentlichten Straight Shooter zu gründen sowie einmalig in den Achtzigern mit Silberstreif zu experimentieren. Auch Westphal verließ die Band nach dem Debüt, Schreiber blieb bis 1979, um später wieder einzusteigen, und Schweiß spielte damals schon und bis heute bei Flaming Bess, die in den Achtzigern kurzzeitig in der Gruppe Key aufgingen. Lediglich Raukes hält Streetmark bis heute ununterbrochen die Treue, Schreiber wieder an ihrer Seite wissend, auch wenn es seit 1981 keine Veröffentlichungen mehr gab.
Schöner Fact: Streetmarks letzter Schlagzeuger Bogdan Skowronek spielte später bei Sun, der Indierockband aus Mönchengladbach, bis ihn dort der heutige Freestyle-Drummer Jörg A. Schneider von Les Hommes Qui Wear Espandrillos ablöste. Noch ein schöner Fact: Bis zu seinem Tode 1978 übernahm Wolfgang Riechmann bei Streetmark Gesang und Keyboards, und zwar, nachdem er Anfang der Siebziger mit Michael Rother und Wolfgang Flür in Projekten wie Spirits Of Sound und Phön-X elektronische Musik fabriziert hatte. So geht das!