Von Guido Dörheide (27.07.2023)
Hammer. Ende Juli 2023 legte Helmut Exner den bereits 20. Kriminalroman über die eigenwilligen Ermittlungleistungen der pensionierten Lehrerin Lilly Höschen aus Lautenthal vor. 90 Jahre ist die Gute inzwischen alt und über die zahlreichen Romane hat sie sich zur vielzitierten Miss Marple des Harzes entwickelt. Fräulein Höschen (Aussprache übrigens nicht wie Schlübber, sondern so, dass es sich auf „löschen“ reimt) legt Wert auf ebendiese Anrede und beeindruckt ihre Mitmenschen nicht nur durch Scharfsinn und Vehemenz, wenn es um das Aushecken und Umsetzen mitunter gefährlicher Ideen geht, sondern hat zudem eine riesengroße Klappe, mit der sie immerfort Redewendungen raushaut wie „Am Arsch vorbei führt auch ein Weg“ oder „Sind Sie eigentlich naturdoof oder muss man das studieren?“ Ein weiteres Markenzeichen der Lilly-Höschen-Serie ist die liebevolle Einbeziehung zahlreicher Schauplätze des Harzes in die Handlung. Beim Lesen wünsche ich jedes Mal, ich wäre gerade dort, insbesondere, wenn mein Lieblingsort Clausthal-Zellerfeld mal wieder Ort der Handlung ist ist.
Exner pflegt einen unverwechselbaren Schreibstil, mit dem er selbst die erstaunlichsten Handlungsverläufe so lässig und zurückgelehnt abhandelt, als würde gerade gar nichts Haarsträubendes oder Erstaunliches passieren. Insbesondere gilt das für die Dialoge, die teilweise scheinbar so sachlich wie der Geschäftsbericht eines mittelständischen multinationalen Konsortiums daherkommen, obwohl in ihnen stets haarsträubende und erstaunliche Sachverhalte abgehandelt werden. Dasselbe gilt für die Handlung: Was hier als leicht zu lesende Kriminalkomödie daherkommt, strotzt wieder einmal mehr von überraschenden Wendungen, menschlichen Abgründen und einer Vielzahl an handelnden Charakteren, von denen am Ende jede/r eine wichtige Rolle im Puzzle der tatsächlich recht komplexen Handlung gespielt haben wird. Dieses Buch liest sich locker an einem sonnigen Nachmittag im Garten weg und am Ende staunen die Lesenden, was alles passiert ist.
Wer der titelgebende Rio ist und welche Rolle er spielt, sei hier nicht verraten, es geht auf jeden Fall um eine Reihe von Morden, die dadurch thematisch zusammenhängen, dass sie auf dieselbe Weise verübt werden, wie es die Malerin Loreley Striemel auf ihren Bildern dargestellt hat. Die Polizei stellt sich dabei durchaus nicht ungeschickt an, außerdem werden die ermittelnden Kommissarinnen und Kommissare durch die Bank liebenswert dargestellt, dennoch können sie die unaufgeforderte Hilfe Lillys und ihrer exzellent kochenden Freundin Gretel Kuhfuß mehr als gut gebrauchen und nehmen sie auch gern in Anspruch. Das Ganze ist temporeich und witzig erzählt und artet trotz aller teils brachialen Situationskomik nie in albernen Klamauk aus, sondern bleibt im Kern immer ein ernsthafter Kriminalroman mit viel Regionalbezug. Und wo ich schon „Loreley Striemel“, „Gretel Kuhfuß“ etc. erwähnt habe: Den von mir selbst ebenfalls noch nie beherzigten journalistischen Grundsatz „no jokes with names“ tritt Exner mit Füßen, dass es eine wahre Freude ist. Ich will hier nicht sämtliche Einfälle Exners, mit skurrilen Namen zu jonglieren, vorwegnehmen, zumindest aber seinen Umgang mit dem Ermittlerduo Hauptkommissar Sperling und Oberkommissarin Hahn, die sich gefallen lassen müssen, dass Lilly sie abwechselnd mit „Herr Drossel und Frau Huhn“, „Herr Specht und Frau Henne“ und vielen anderen Tiernamen anredet, will ich nicht unerwähnt lassen. Und auch über den einzigen erfundenen Ortsnamen, nämlich Kleinbötelkamp in Schleswig-Holstein, das bereits im dritten Lilly-Höschen-Roman „Die Segeberg-Connection, die Lübecker Marzipanleiche und der Harzer Roller“ vorgestellt wurde, musste ich herzlich lachen.
„Rio und die mörderischen Bilder“ ist im Verlag EPV erschienen, in dem Exner und sein Sohn Sascha nicht müde werden, unzählige wunderbare Harzkrimis und andere Romane mit Harzbezug zu veröffentlichen. Mehr Infos unter https://harzkrimis.de/.