Von Guido Dörheide (23.07.2023)
Was King Gizzard & The Lizard Wizard für Australien sind, ist Robert Pollard für Dayton, Ohio. Bzw. sind Guided By Voices für die USA. Seit Ende der 1980er Jahre gibt es die Band in wechselnder Besetzung, neben Pollard wirkte Tobin Sprout für lange Zeit als Songschreiber und Bandmitglied, seit dessen endgültigem Ausstieg im Jahr 2014 ist GbV das alleinige Projekt Pollards. Und er haut Album um Album raus, seit einigen Jahren mehrere pro Jahr. Und das tut er nicht nur, um seinen Ruf als produktivster Songschreiber aller Zeiten zu zementieren, nein, es lohnt sich jedes Mal, seine Alben aufmerksam und immer wieder anzuhören. GbV haben einen hohen Wiedererkennungswert: Das liegt zum einen an Pollards Stimme und zum anderen an seiner Art, Songs zu schreiben, die schnell auf den Punkt kommen, Melodien aufweisen, denen man sich als Freund des Gitarrenindierocks niemals entziehen kann und die zumeist roh und ohne viel Schnickschnack eingespielt und produziert werden. Pollard hört sich an wie ein Onkel von Michael Stipe, dessen Plan, die größte aller Indie-Bands zu gründen, von multinationalen Konsortien hintertrieben wurde und der deshalb dazu verdammt ist, alle paar Monate mit einem Tonträger um die Ecke zu kommen, der sich ähnlich anhört wie der vorherige und dennoch unverzichtbar für die Sammlung eines jeden GbV-Fans ist.
So verhält es sich auch mit „Welshpool Frillies“: Jene, die den Weg von Guided By Voices bereits seit knapp 30 Jahren (wie ich) oder länger verfolgen, werden hier nicht überrascht, aber auch nicht gelangweilt: Wie gewohnt, gibt es gitarrenorientierten, schrammelnden Indierock mit leicht psychedelischem Einschlag zu hören, der leicht ins Ohr geht und sich beim wiederholten Hören nicht abnutzt, sondern wächst und den Vergleich zu frühen Großtaten wie „Bee Thousand“ (1994), „Under The Bushes Under The Stars“ (1996, dieses Album enthält den Song „The Official Ironman Rally Song“, wegen dem ich damals Fan der Band wurde) oder „Mag Earwhig!“ (1997) nicht zu scheuen braucht.
Bei einem derartigen Vielschreiber und -veröffentlicher wie Pollard muss man stets befürchten, dass er seine wie aus einer versehentlich geschüttelten und dann zu schnell geöffneten Flasche Mineralwasser aus ihm heraussprudelnden Songideen weitgehend unproduziert auf Tonträger bannt, auf dass sie unbemerkt an der Musikgeschichte vorbeitönen und nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient haben. Ich hoffe, dass sich das mit „Welshpool Frillies“ nicht so verhält. Die 15 Songs auf dem achten Album in drei Jahren klingen toll, haben die typischen GbV-Melodien, wiedererkennbare Riffs, für die jeder Indie-Musiker, der in der Tradition der ganz frühen R.E.M. steht und sich nie zwischen Grunge und sagen wir mal Nick Drake entscheiden konnte, töten würde, und ab und an mal ein schönes Solo. Dazu Pollards Stimme, die mit zunehmendem Alter immer besser wird (der Mann ist immerhin auch schon 65) und die melancholischen und eingängigen Melodien. „Welshpool Frillies“ ist das 38. Studioalbum von Guided By Voices und macht neugierig auf alles, was Pollard in den nächsten Jahren veröffentlichen wird. Anspieltipp: „Rust Belt Boogie“. Ein Song, der sich anhört, als ob jemand erstmal routiniert und begeistert die Gitarre warmspielt und dann wunderschön und GbV-untypisch weit in den Hintergrund produziert an zu singen fängt, vor Schreck darüber erstmal einen ruhigen Mittelteil einbaut und dann doch zuende singt. Wer bisher nichts von GbV gehört hat oder sich aufgrund des immensen Volumens ihres Outputs da nicht rangetraut hat, kann bei „Welshpool Frillies“ bedenkenlos zugreifen.