Von Matthias Bosenick (14.07.2013)
Zwei deutsche vornehmlich dem Gothic zugeordnete Indie-Bands veröffentlichen gleichzeitig ihre Variante eines Unplugged-Albums. Phillip Boa And The Voodooclub sind „mehr oder weniger akustisch“, indem sie ihre Songs zwar verstärkt, aber sanfter instrumentiert darbieten, und Deine Lakaien setzen ihr 1995er-Projekt „Acoustic“ fort, indem sie wie weiland ihre eigentlich elektronischen Synthie-Songs auf einem präparierten Klavier nachspielen und ihnen überraschenderweise mehr Qualität verleihen als zuletzt auf den Studioalben. Beide Alben eint, dass sie live aufgenommen wurden und nicht regulär im Handel erhältlich sind.
Die Tracklist von Boas reduziertem Album ähnelt dem von „Live! Exile On Strait Street“, die Band hat über die Jahre ganz offensichtlich ihre Favoriten gefunden und dazwischen nun mal nur ein neues Studioalbum veröffentlicht. Anders als auf dem anderen Livealbum ist aber der Sound, dank Akustikgitarren, hin und wieder Besenschlagzeug, dazu Akkordeon, Cello und Mandoline sowie dezenten Computer-Samples (zum Beispiel die Oboe, die leider nicht live gespielt ist). Im Tempo sind die Songs ihren Vorlagen ähnlich, so richtig anders ist eigentlich nur „Deep In Velvet“, das angenehm entschleunigt eine neue Atmosphäre offenbart. Der neue, reduzierte Sound steht den Songs gut, Boa ist ohnehin ein Meister der tollen Pop-Melodien, und die Strukturen bleiben in der Mehrzahl erhalten. Viele von Boas Stücken haben im Original trotz ihres Popcharakters eine gewisse Brutalität, die findet sich auf „Reduced!“ nicht mehr, und trotzdem behalten die Songs ihre Qualität bei. Das ist eine Leistung, bereits bei der Komposition, denn so ohne weiteres lassen sich nicht alle Lieder ohne Verlust auf diese Weise umgestalten. So wird auch mal aus „Container Love“ ein fröhlicher Country-And-Western-Partysong, das funktioniert sehr gut. Zum Abschluss gibt es – als Bonustracks deklariert, warum auch immer – wie zuletzt von der Tour gewohnt „Love Will Tear Us Apart“ von Joy Division und „Sunday Morning“ von The Velvet Underground sowie den eigenen Klassiker „Hell“, letztere beide in einer „Noisy Version“ mit Cellistin Anne Müller, die das Ganze nach „Vagabonds“ von New Model Army klingen lässt. Schade nur, dass Boa seine fantastischen Alben der vergangenen zwölf Jahre bis auf das jüngste komplett außen vor lässt. Das hat er nicht nötig, denn die Alben sind gut bis super, er muss sie hinter seinen alten Hits nicht verstecken.
Anders als Deine Lakaien, die sich zwar mit Intellekt, Anspruch, Geist, Charakter, Können und weiteren positiven Eigenschaften vom Gros der Gruftmucker abheben, zumindest in Interviews, deren Musik aber nicht immer ihrem postulierten Anspruch genügt. So richtig aufregend im positiven Sinne waren sie eigentlich wirklich nur bis 1993, „Forest Enter Exit“, oder eben 1995, „Acoustic“, dem Vorläufer des Vorliegenden. Danach komponierte Ernst Horn wohlgefälliger, wiederholte sich, nahm sich zuungunsten der Komplexität zurück, vereinfachte sich, ja: Deine Lakaien langweilten, auch mit ihrer dunklen Stimmung. Zwar zeigten sie immerzu Humor, einen großartigen gar, aber lediglich in Interviews oder in einzelnen Tracks, die dann allerdings deplatziert und wenig subtil wirkten. Vielleicht liegt es aber auch schlichtweg daran, dass der Rezipient aus der in Gruftkreisen zumeist aufgesetzten und pathetischen Düsterstimmung herauswuchs und den Soundtrack dazu nicht mehr brauchte, es also so empfand, dass Deine Lakaien mit ihrem Oeuvre nicht mit ihm erwachsen wurden, sondern stehen blieben. „Acoustic II“ nun offenbart eine Überraschung: Die ganzen eher als langweilig empfundenen Lieder der jüngeren Alben funktionieren am Piano und aufs Wesentliche reduziert sehr wohl sehr gut. Alexander Veljanov hat nun mal eine einnehmende Stimme. Und Ernst Horn kann mit seinem Spiel die angemessene Atmosphäre schaffen, vom eher brachialen „Fighting The Green“, einem der ältesten Stücke auf dem Album, bis zu den introspektiven Stücken, die die Mehrheit ausmachen. Zwischendurch erlaubt sich der Komponist experimentelle Soundeffekte an seinem Piano, und das darf er auch, schließlich kann er ja wirklich was, so voll er seinen Mund auch gerne nimmt. Deine Lakaien verankern sich in der Hochkultur, haben aber lediglich ein Gruftpublikum, und „Acoustic II“ wäre sicherlich auch in der Klassikabteilung eines Musikkaufhauses gut aufgehoben. Wenn es nicht lediglich über die Crowdfunding-Plattform Pledge zu beziehen gewesen wäre.
„Reduced!“:
01. Fine Art In Silver (Hair 1989)
02. Sunny When It Rains (Loyalty 2013)
03. I Dedicate My Soul To You (Aristocracie 1986)
04. Rome In The Rain (My Private War 2000)
05. I Don’t Need Your Summer (Hispañola 1990)
06. Container Love (Hair 1989)
07. Pretty Bay (Helios 1991)
08. Bells Of Sweetness (She 1995)
09. The Laughing Moon (Helios 1991)
10. Til The Day We Are Both Forgotten (Loyalty 2013)
11. Deep In Velvet (She 1995)
12. This Is Michael (Hispañola 1990)
13. Fiesta (Boaphenia 1993)
14. And Then She Kissed Her (Helios 1991)
15. Sunday Morning
16. Love Will Tear Us Apart (Noisy Version with Anne) (Boa Best Singles 2005)
17. Hell (Noisy Version with Anne) (Philister 1985)
„Acoustic II“:
01. One Night (Indicator 2010)
02. Gone (Indicator 2010)
03. Fighting The Green (Winter Fish Testosterone 1996)
04.The Game (Kasmodiah 1999)
05. Without Your Words (Indicator 2010)
06. Over And Done (April Skies 2005)
07. Vivre (April Skies 2005)
08. Overpaid (Kasmodiah 1999)
09. Where You Are (White Lies 2001)
10. Return (Kasmodiah 1999)
11. Manastir Baroue (Winter Fish Testosterone 1996)
12. Wunderbar (White Lies 2001)
13. Heart Made To Be Mine (April Skies 2005)
14. Away (Winter Fish Testosterone 1996)
15. Blue Heart (Indicator 2010)
16. Bei Nacht (One Night/Bei Nacht 2011)