The Upland Band – Living In Paradise – Kapitän Platte 2023

Von Matthias Bosenick (08.06.2023)

The Upland Band ist keine, sondern besteht ausschließlich aus Michael Beckett aus Hillentrup in Ostwestfalen-Lippe. Sein Debütalbum unter diesem Alias ist ein kurzes Vergnügen, aber es ist ein Vergnügen: Eine knappe halbe Stunde angepsychter Indiepoprock, aus dem Spiritualized, Yo La Tengo und die Beatles hervorschimmern. Entsprechend vielseitig gestaltet Beckett dieses Album, das in neun Stücken viele Stimmungen abbildet, sanft instrumentiert und gesungen zumeist, gern mit nachdrücklich fuzzender Gitarre drin, und das auch noch dargeboten wie von einer ganzen Band, der Mann muss Universen im Kopf haben.

In seinen psychedelischen Momenten bereist Beckett ebenjene Universen zudem, wenn er sich mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Piano in sich selbst und im All verliert, und wenn er dann noch die psychedelischen Effektgeräte seiner Gitarre anwirft, die Sounds rotieren lässt, dann findet man sich im Spacerock wieder, unternimmt mit ihm einen kurzen Ausflug in Richtung Spiritualized, aber nur kurz, dann kehrt man wieder zum klassischen Indierock von Yo La Tengo zurück, die sich, wie die psychedelischen Engländer aus der Referenz davor, ihrerseits gern mal bei den Beatles bedienen, etwa mit dem Schramm-Schramm-Rhythmus, den später der The-Band-Britpop der Nullerjahre so überproportional stark wiederverwertete. Da aber Beckett sein Schlagzeug, wie das Trio aus Hoboken, New Jersey in soclhen Momenten, sanft spielt, kommt dieser Eindruck von Brechstangen-Britpop nicht auf, man nimmt lediglich den gelegentlich aufkommenden vertrauten, wenn auch angestaubten Rhythmus wahr.

Zudem variiert Beckett seine Rhythmen, seine Tempi, ganz wie Yo La Tengo bedient er diverse Unterkategorien an Indierockstilen, für die es vermutlich nicht mal Bezeichnungen gibt, und unterlässt es dabei nicht, darauf zu achten, dass die Hörerschaft den Bus auch noch erreicht und mitkommt, seine Songs haben eigene Charaktere und sind dadurch angenehm unterschiedlich. Was auch daher rührt, dass er seinen Instrumenten pro Song unterschiedliche Schwerpunkte gibt, ein Lied formt ein angeschärftes Gitarrenlick, im nächsten – oder auch einfach mal im Verlauf desselben – klimpert sich das Piano in den Vordergrund, in einem zerfuzzt der Verstärker die Saiteninstrumente, einmal reitet Beckett einen Alt.-Country-Trail mit Gniedelsolo entlang, oft bedient er sich in einer veralteten Variante von Janglepop, die auch Yo La Tengo beherrschen, und kurioserweise klingt Becketts Gesang nach dem von Ira Kaplan, und ganz selten gönnt sich Beckett auch mal angenehm dröhnende Dissonanzen. Das Schlagzeug trappelt zu allem immer unaufdringlich und sanft, aber taktvoll.

So richtig überraschend kommt der Einfluss von Yo La Tengo bei genauer Betrachtung nicht, schließlich arbeitete Beckett im zurückliegenden Jahrzehnt unter seinem früheren Alias Kpt.Michi.Gan auf dem Album „Don’t Give Up“ mit 1/2-Japanese-Musiker Jad Fair (und dem französischen Indiequartett Hifiklub) zusammen, mit dem das genannte Indierock-Trio seinerseits Alben aufnahm. Es gibt also Brücken! Als Kp.Michi.Gan oder Kptmichgan warf Beckett ohnehin haufenweise Musik unter die Hörerschaft, ein weiteres Alias ist Trip Shrubb. Und weil das nicht reicht und weil man in LIP, also in OWL, sowieso gern zusammenarbeitet, verbündete sich Beckett auch mal vorübergehend mit Schneider TM Dirk Dresselhaus als Dr. Drek oder The Schneider TM Experience. In den Neunzigern spielte Beckett bei Tuesday Weld, später kamen Projekte dazu wie Fuchs & Beckett (mit Jan Fuchs aka Giant Fox), Super Reverb mit Jürgen de Blonde aus Gent, The Beautiful New Born Children mit jemandem namens Kirsten Beckett, die eigentlich Kirsten Hennig heißt (lässt auf Gattin schließen), sowie The Eightfold Model mit dem als Vidna Obmana bekannt gewordenen Belgier Dirk Serries, der Typ, der mit dem Prog-Weichspüler Stephen Wilson das Projekt Continuum betreibt, genau. Und er produzierte Krite Uhes Beitrag auf dem legendär zu nennenden Sampler „Paradies der Ungeliebten.de“.

Überdies lässt die Info wissen, dass es sich bei „Living In Paradise“ um ein Konzeptalbum handelt, das von einem kleinen Dorf in Ostwestfalen erzählt, mit historischen Ereignissen, persönlichen Beobachtungen sowie dem üblichen Dorftratsch als Themen, mit haufenweise skurrilen Charakteren wie einem Lumpensammler, einem verrenteten Polizisten, Nazinachbarn und dem Geist eines unbekannten kanadischen Bomberpiloten, unter anderem. Grünkohl und Bregenwurst, eine für die Produktion von Methamphetamin genutzte Papiermühle und eine Dampflok sind weitere Themen. Sagt die Info. Das Internet verrät zudem, dass Beckett aus Hillerup kommt, Gemeinde Dörentrup, Kreis Lippe, nördlich von Detmold, also genau aus der Gegend, in der sein Album stattfindet, und aus der Gegend kommt überhaupt so einige wegweisende Indiemusik, Hip Young Things mit Dirk Dresselhaus, die ganzen Bands mit Dresselhaus-Freund Christopher „Krite“ Uhe, wie Speed Niggs, Locust Fudge, Sharon Stoned; heute The Innits, deren Mek Obaam mit Becket und Dresselhaus wiederum als die genannte The Schneider TM Experience eine 7“ veröffentlichte. Alles eine Suppe. Von OWL aus starteten zudem Bernd Begemann, Bernadette La Hengst, Die Sterne und Bienenjäger Jochen Distelmeyer auf dem Fast-Weltweit-Label ihre Hamburger-Vorschul-Karrieren.