Von Matthias Bosenick (05.06.2023)
Steht da wirklich 2023 hinten drauf? „Maxime“ von Howlin‘ Sun könnte auch schon seine 30 bis 50 Jahre auf dem Buckel haben. Bluesbasierter Rock’n’Roll, abgeguckt bei dem, was die Rolling Stones seinerzeit bei Bluesgöttern wie Howlin Wolf abguckten und in die USA zurückschickten, bei dem, was die weißen Leute dort dann draus machten, und bei dem, was in den 50 Jahren danach noch so entstand. Kompromisslos ist das Attribut hier, kein Fußbreit in Richtung Moderne oder gar Crossover, hier wird die Orgel ausgepackt, das Piano geklimpert und die Cowbell geläutet, hier gibt es Riffs, Riffs, Riffs, was das Zeug hält, eine halbe Stunde lang. Die vier Norweger aus Bergen rocken sich auf ihrem zweiten Album so richtig aus, dass es auf Altstadtfesten die Schau sein muss. Wer indes Überraschungen sucht, weil er Musik dieser Art bereits hinlänglich im Regal stehen hat und seinen Horizont erweitern möchte, sollte besser woanders gucken.
Da bekommen Nostalgiker feuchte Augen: „Maxime“ bedient wirklich alles, was man sich von einem Retroalbum in Sachen Rock erhofft. Jedes noch so dreckige Riff sitzt, und davon haben Howlin‘ Sun nicht wenige im Angebot, der Shaker shaket, die Kuhglocke gibt den Takt an, der Gesang findet bisweilen zweistimmig statt, Bass und Schlagzeug geben einen satten Groove vor, ab und zu stimmen Orgel und Piano mit ein, das Tempo pendelt zwischen treibend und balladesk, die Spielfreude der vier Musiker ist gigantisch, alles passt perfekt, jedes Drumfill, jedes Gitarrensolo, jeder Stimmverzerrereinsatz, man schmeckt das Bier heraus, das im Studio geflossen sein muss, und wünscht sich an die Theke beim Altstadtfest, um selbst Nachschub zu ordern. Man hat den Eindruck, ab einem gewissen Pegel alle Songs mitgröhlen zu können, obwohl man sie nicht kennt, so vertraut ist einem das alles. Rock’n’Roll!
Und zwar einer, der Innovationen aus dem Konzept gestrichen hat. Mit Ansage. Da der Rock’n’Roll ja alle paar Jahre vergebens für tot erklärt wird, tut es offenbar Not, den jungen Leuten das Gegenteil unter Beweis zu stellen und den Alten etwas zum Schwelgen und Erinnern mitzugeben. Denn es gilt: Der Rock’n’Roll ist nicht tot, verdammt. Er riecht nur komisch. Nach Fisch in diesem Falle, denn das Quartett nahm das Album – sein zweites seit 2018 – in einer alten Sardinenkonservenfabrik auf, und zwar direkt live auf Tape, und diese direkte Energie fängt die Band hörbar ein.
Erstaunlicherweise ist die erste Analogie, die in den Kopf schießt, sobald man „Maxime“ auflegt, gar nicht so sehr in den Sechzigern verankert, wie es das Album ist, sondern in den Neunzigern, bei englischen Bands mit vergleichbarem Konzept wie Reef insgesamt oder Primal Scream zu „Give Out But Don’t Give Up“-Zeiten sowie bei den Südstaatrockenepigonen The Black Crowes von überm Teich. Heißt also, Howlin’ Sun klingen wie die Rolling Stones, Led Zeppelin, Lynyrd Skynyrd, frühe Aerosmith und – manchmal gesanglich – AC/DC noch mit Bon Scott. In besonders druckvollen Momenten könnte man sogar feststellen, die Norweger klängen nach Schwedenrock. Es fällt schwer, sich vorzustellen, man könnte Howlin‘ Sun an ihren eigenen Songs wiedererkennen, wenn sie irgendwo laufen. Das ist ja alles ganz schön geworden, aber als progressiver Nichtnostalgiker fragt man sich, was man abseits von Festivals, launigen Pubgigs oder Altstadtfesten damit anfangen soll.