Von Guido Dörheide (22.05.2023)
Dass ich wegen Therapy?s „Potato Junkie“ einst zum Fan der Literatur von James Joyce wurde, ist dank Onkel Rosebuds neuester Veröffentlichung auf diesen Seiten hinlänglich bekannt. Seinerzeit lebte ich im WRG, in der Döringstraße, in einer WG mit meinem unglaublich einzigartigen, warmherzigen und witzigen Mitbewohner Jens. Jens hörte gerne Stromgitarrenmusik der leicht härteren Sorte und immer wieder kam es vor, dass ich fragte, was er da höre, da es schön klänge, und immer wieder antwortete er mit „Therapy?“. Also ging ich nach kurzer Zeit dazu über, jedesmal, wenn ich schöne härtere Gitarren-Indie-Musik aus seinem Zimmer hörte, einfach zu fragen „Therapy?“, um sogleich ein „Jep“ zu ernten.
Et ess paar Johr her, doch die Erinnerung fällt nit schwer, und Therapy? gibt es immer noch, zuletzt meldeten sie sich 2018 mit dem sehr guten Album „Cleave“ (mit dem Jahrhundertwortspielsongtitel „Wreck It Like Beckett“) zurück, und heuer gibt es mit „Hard Cold Fire“ eine neue Langspielplatte von der legendären nordirländischen Formation um den charismatischen Frontmann Andy Cairns. Ich bin gespannt, ob die mir taugt.
Und ja, das tut sie! Nur knapp unter 32 Minuten lang, aber Spieldauer ist ja auch kein Qualitätsmerkmal, bratzt das Teil gleich los wie Therapy? in den 90ern – irgendwo zwischen melodiösem Hardcore-Punk und irgendwas mit Goth, auf jeden Fall mit der Stimme von Andy Cairns und diesem typischen Schlagzeug-Sound, der immer so klingt, als ob der Schlagzeuger immer den Rand der Snare trifft und nicht das Fell. Diesen Sound haben Therapy? aus den 90ern herübergerettet, obwohl nicht mehr Fyfe Ewing, sondern seit 2002 mit Neil Cooper schon der vierte Schlagzeuger in der Bandgeschichte die Trommeln verkloppt.
Außer „Potato Junkie“ haben uns Therapy? zahlreiche wunderbare Hits wie „Screamager“ vom 1994er Album „Troublegum“ („I’ve got nothing to do, but hang around and get screwed up on you“), „Teethgrinder“ („In my sleep I grind my teeth“) und „Nausea“ („Don’t wanna feel any more (Don’t hear you)“) vom 1992er Debütalbum „Nurse“ und natürlich das Hüsker-Dü-Cover „Diane“ beschert. Hmpf, alles aus den 90ern. Was ist denn von damals nun noch übrig bei Therapy??
Nun – sehr viel: „Pondland Of Hope And Glory“ ist wunderschöner Grunge, dass man sowas in den 2020ern noch zu hören bekommt, ist toll. Ein hart vorantreibendes Schlagzeug, Bass und Gitarre dröhnen um die Wette und Cairns singt beiläufig-gelangweilt und dennoch aggressiv, als gelte es, J Mascis Konkurrenz zu machen. Aber hier sind wir schon bei Stück 8 von 10, nun also erstmal zurück auf Anfang:
Mit „They Shoot The Terrible Master“ legen Therapy? gleich stark los: Wieder mal Bass und Gitarre rauh und aggressiv übereinander, Cairns presst die Lyrics atemlos raus, dazu das klappernde Schlagzeug und ein blutrünstiger, aber dennoch cool vorgetragener Text. Könnte nicht besser beginnen. „Woe“ beginnt erstmal ruhiger, donnert aber gleich wieder los, Cairns‘ Stimme wird durch den Verzerrer gejagt und klingt im Refrain dann nach Grunge. Was im Jahr 30X nach Grunge nicht wie ein Abklatsch klingt, sondern nach glaubwürdiger Hommage. „Joy“ setzt dem anschließend noch einen drauf, das Stück rumpelt eindrucksvoll vor sich hin und Cairns schafft einen tollen Spagat zwischen melodiös und monoton. „Nothing seems to make you happy, Nothing seems to bring you joy“ – doch doch, dieses Album kriegt es bisher sehr gut hin, den Hörenden Freude zu bringen und sie fröhlich zu machen. „Bewildered Herd“ macht genau da weiter, der Text befasst sich damit, dass der Mensch in all seiner nicht vorhandenen Wichtigkeit denselben Weg gehen wird wie die Dinosaurier. Das folgende „Two Wounded Animals“ ist OK, besser gefällt mir jedoch „To Disappear“ und noch besser das beschwörende „Mongrel“ mit dem heimlichen Refrain „With words wе try and fail to heal“, der erst hinter dem eigentlichen Refrain folgt und wieder den Grunge hochleben lässt. Anschließend dann das oben erwähnte „Poundland Of Hope And Glory“, in dessen Text sich Cairns immer wieder auf Jerusalem bezieht, um klarzustellen, dass eben dieses Jerusalem nur eine Stadt im Nahen Osten ist, eigentlich ein Mythos, auf den sich immer wieder aus fragwürdigen Gründen bezogen wird. „Ugly“ ist ein berührendes Stück über Selbsthass, mit Schmackes vorgetragen, und das das Album beschließende „Days Kollaps“ (sic!) haut in dieselbe Kerbe, aber weniger aggressiv und eher monoton und – ja, irgendwie schön vorgetragen. Und die Zeilen „All the days collapse as one, I need to find a placе, where bridges build not burn“ lässt hoffen, dass dieser Platz eines Tages gefunden wird. Auch bei diesem Stück weht eine ganze Menge Grunge-Romantik mit und ich freue mich, dass es Therapy? noch gibt und dass sie ein derart überzeugendes Album abgeliefert haben.