Von Onkel Rosebud / Guido Dörheide & Matthias Bosenick
Weil man auf Flugreisen keine Autos mitnehmen darf, fahren wir einmal im Jahr hier in Deutschland irgendwo hin, um uns zum Beispiel ein Hermannsdenkmal, einen Leipziger Hauptbahnhof, ein Ruhr- oder Saargebiet, Peine oder eine Schwebebahn anzusehen. In diesem Jahr ging es Ostern nach Saarbrücken, weil das Saarland das einzige deutsche Bundesland der Welt ist, durch das man nicht hindurch kommt, wenn man irgendwo anders hinfährt, weil es dazu einfach zu klein ist.
Um die Stimmung zu heben, hatten wir uns gegenseitig mit jeweils ca. neun Kassetten, auf denen nur das Lied „The Under Assistant West Coast Promotion Man“ von den Rolling Stones immer wieder hintereinander aufgenommen war, überrascht. Bereits während des ersten Drittels der Hinfahrt (also während der 80km Stau zwischen Seesen und Hannoversch-Münden) hatten wir die erste Hälfte dieser Kassetten angehört, und die Stimmung strebte schon auf den Siedepunkt zu, bevor die hessische Landesgrenze überhaupt erreicht war.
Als erstes Ziel stand Homburg/Saar auf dem Reiseplan. Da fühlten wir uns gleich wie zu Hause, weil uns alles an unsere Arbeitsplätze in Wolfsburg/Mittellandkanal oder unser liebstes Naherholungsziel Salzgitter/Lebenstedt erinnerte. Wer die beiden letztgenannten Städte kennt, weiß, wovon wir reden. Allen anderen sei ein sonntagvormittägliches Flanieren auf der Porschestraße („Die Po“, wie die Wolfsburger sie, angeblich liebevoll-flapsig, nennen) anempfohlen. Und zu essen gab es auch nichts Gescheites.
Wir mussten also weiter nach Saarbrücken, was unserer Ansicht nach die Landeshauptstadt des Saarlandes gewesen sein musste. Beim Essen in einem netten Restaurant in der Fußgängerzone wehten von irgendwoher die Töne von „The Under Assistant West Coast Promotion Man“ zu uns herüber, das ein leicht abgerissen wirkender Straßenmusikant, wohl um die Aufmerksamkeit der vorbeiziehenden Reisenden auf sich zu ziehen, zum Besten gab. Sein Bestes wollten wir aber nicht unbedingt haben, also setzten wir uns, ohne aufgegessen oder das Bier bezahlt zu haben, wieder ins Auto, um dort die Originalversion des Klassikers von der englischen Musikkapelle „Die Rolling Stones“ auf Kassette zu hören, und verließen schnurstracks Saarbrücken in Richtung Blieskastel, um den legendären Gollenstein, der uns, zumindest vom Namen her, etwas an unsere Lieblingsgruppe erinnerte, zu beschauen. Im beschaulichen Örtchen Blieskastel selbst wurden wir von aggressiven Kommunalpolitik-Underassistant-Ortsratswahllisten-Promotion-Mäns einer namhaften Volkspartei auf das Übelste geduzt, unflätig beschimpft, mit Wahlprogrammen überhäuft und mit nahrhaften Ostereiern beschenkt. Zu allem Überfluss fing es just in dem Moment an zu regnen, als wir begonnen hatten, uns die geschenkten Eier auf die ebenfalls geschenkten Programme zu pellen.
In Saarlouis haben wir die Stadtmauer gesucht, aber leider nicht gefunden, weshalb es uns auch nicht weiter verwunderte, dass die Alte Völklinger Stahlhütte, die wir alternativ als Plan B für den Fall in der Tasche hatten, dass wir die Stadtmauer in Saarlouis nicht fänden, schon geschlossen hatte. Getröstet wurden wir von der legendären Rock’n’Roll-Formation um den charismatischen Frontmann Mick Jagger und seinem kongenialen Ausnahmegitarristen Keith „Keef“ Richards, die einmal mehr die Geschichte von „The Under Assistant West Coast Promotion Man“ intonierten. Das übrigens seinerzeit als B-Seite vom zwar bekannteren, aber weitaus unspektakuläreren und uninspirierteren „(I can’t get no) Satisfaction“ erschienen war und bereits in den Kinderzimmern unserer Elterngeneration für Furore sorgte. Doch das nur am Rande. Apropos am Rande, auf einmal war der Rand des Bundesgebietes erreicht, die obligatorische Leitplanke am Straßenrand war einer schönen Landschaft gewichen und wir fühlten uns abrupt in einen fremden Kulturkreis hineingeschleudert, in dem auf runden Verkehrsschildern nach irgendeiner „sauf autorisation“ gefragt wurde.
Die hatten wir nicht dabei und nach einer mehrstündigen Odyssee durch Bischmisheim gelangten wir fröhlich „The Under Assistant West Coast Promotion Man“ trällernd, durch andere Orte mit ulkigen Namen wie Stingbert (was macht der eigentlich heute?) oder so ähnlich geradewegs nach Otzenhausen.
Da steht eine keltische Ringwallanlage im Wald, die zu umrunden uns zwar eine Stunde Verzicht auf die lieblichen Klänge von „The Under Assistant West Coast Promotion Man“ aus der Konserve kostete, die insgesamt aber dennoch, wenn man nicht über all die wahllos auf dem Gelände herumliegenden Steine stolperte, mehr als beeindruckend war. Mit aufgeschlagenen Knien schleppten wir uns also zurück zum Auto, wo Charlie Watts (der Mann hinter der Schießbude), Bill Wyman (mal spielt er Baß, mal spielt er besser; haach, Spaß muss sein!) und die ganzen anderen bereits auf uns warteten, um uns mit der schmissigen Weise vom „Under Assistant West Coast Promotion Man“ in all ihrer melancholischen Pracht in den Sonnenuntergang zu begleiten. Am Ende dieser einmaligen Wettererscheinung wartete Trier auf uns, eine Stadt, die es wohl kaum auf Hawaii gibt, weshalb wir da (nach Hawaii) auch nicht hinfahren, sondern hierbleiben (in Trier). In dieser ältesten Stadt Deutschlands werden wahrscheinlich auch die Rolling Stones (eine der ältesten Bands der Welt) bereits eines ihrer Gastspiele gegeben haben müssen, dachten wir uns, und kramten eine weitere Kassette aus der „Under Assistant West Coast Promotion Man“-Serie aus dem Kofferraum hervor und warteten gespannt, mit welchem Lied sie wohl beginnen möge.
Trier war denn auch die erste Etappe unserer Heimreise und jetzt, wieder daheim, können wir „The Under Assistant West Coast Promotion Man“ zwar nicht mehr hören, aber dafür auswendig
P.S.: Dieser Text erschien zuerst im Buch „Various Artists – Ich Liebe Musik“ (1999, notschriften Verlag) und wurde von Matthias Bosenick und Guido Dörheide über den Song „The Under Assistant West Coast Promotion Man“ von The Rolling Stones geschrieben.