Von Matthias Bosenick (02.04.2023)
Diese Band aus Toulouse haut einem mit ihrem zweiten Album „Montagne Explosion“ direkt in die Fresse. Der Opener „Poulet Gondolé (Chasuble)“ hat ein irrsinniges Tempo, auf dem die Percussions und Schlagzeug einen an Balkanpop erinnernden Beat anschlagen und zu dem zwei Saxophone kürzeste Melodiefragmente unendlich wiederholen. Das Ensemble steigert sich in den Track hinein, variiert Pattern und explodiert dann wie der titelgebende Berg zum wildestmöglichen tanzbaren Free Jazz. „Une bonne Soupe au Lard“ steigert die Energie sogar noch, das Schlagzeug ist mit einem schrillen repetetiven Ton unterlegt, dazu schreien Leute herum und das Basssaxophon trötet nur drei verschiedene Töne. Als wäre dies ein experimentelles Technostück, nur mit nichtelektronischen Mitteln generiert. Alter! Man fühlt sich echt wie geprügelt. Man muss das Album erst einmal komplett durchhören, um sich für diesen Einstieg zu öffnen, denn es kommt noch anders und erscheint einem schon beim zweiten Durchlauf als völlig geil.
Ab dem dritten Track nämlich schrauben die vier Musiker das Tempo herunter und steigern dafür zur Percussion den saxophonisch-warmen Trötfaktor, den sie so intensiv minimalistisch wiederholen, dass man das Gefühl bekommt, seine Ohren in Brei zu baden. Hypnotisch! Und dann plötzlich – Ruhe. Pause. „Quand Lo Pastour Bai Amouda“ beginnt mit ätherischem weiblichem Gesang zu sich unaufdringlich und unterschwellig ansammelnden Drones im Hintergrund. Im Verlauf tritt ein unmelodisches Saxophon dazu, weitere Frauenstimmen krakeelen leise anschwellend, Diamanda Galás nickt freundlich dazu. Und schon im nächsten Track wird das Quartett wieder technoid, minimalistisch, mechanisch, errichtet ein sich irrsinnig schnell wiederholendes Rhythmusgerüst für das frei schwebende freejazzige Saxophon und bietet damit die nächste verstörende Hypnosesession an, die so energetisch ist, dass man irgendwann zurückbrüllen möchte. Am Ende des nächsten Stücks gönnt sich das Ensemble die nächste Pause, indem es dies außer Atem klickernd ausrollen lässt – nur, um mit dem zweiminütigen Saxophon-Speed-und-Schrei-Stück „Danke Schoen Paul“ die nächsten Turboschellen auszuteilen. Die vier Jungs, davon zwei an Schlagwerken und zwei mit Bariton- und Tenor-Saxophon, lassen das Album mit dem zwölfminütigen „Gros Pinçon“ entspannt leiernd auslaufen. Kein Wunder, wie die sich verausgabten. Und wenig überraschend, dass sie auch da nur wieder Luft holen, um einmal mehr loszutosen.
Wer diese vier Musiker namentlich sind, verraten sie nicht. Den Namen Matthieu Cardon geben sie als Unterstützer preis, er ist auch als Kontaktperson per Email hinterlegt – er betreibt das Label Les Productions du Vendredi. Dafür weiß man, wer die vier Frauen sind, die aus „Quand Lo Pastour Bai Amouda“ eine im Kontext so große Überraschung machen: Lola Calvet, Lisa Langlois, Noëllie Nioulou und Marthe Tourret. „Montagne Explosion“ ist Album Nummer zwei nach „Vlouthe Panthère“ vor zwei Jahren, das dem hier dargebotenen Irrsinn in nichts nachsteht. Da meint man, schon alles einmal gehört zu haben, und dann kommt dieses Quartett daher. Edredon Sensible machen beim Erstkontakt schlechte Laune und verderben sie einem sofort wieder.