Von Onkel Rosebud
Ein grausamer Menschenschlag sind die dem Stamme der Unterhaltungsbranche angehörigen Diskotheker. Ein Diskjockey denkt, dass er der Einzige im Saal ist, der was von Musik versteht, und deshalb seinen ach so trefflichen Musikgeschmack allen anderen aufdrücken muss. Doch am schlimmsten sind jene, die auch noch ständig am Labern sind. Ich hasse solche Alleinunterhalter, die drei Minuten einen Song spielen und anschließend zwei Minuten drüber reden müssen, als ob sie keine Selbsthilfegruppe fänden, wo sie sich mal in Ruhe aussprechen könnten.
Nein, stattdessen verseuchen sie die Tanzdiele mit ihrem Wortmüll, heben ihre Stimme echauffierend und wollen ständig wissen, ob man auch wirklich gut drauf ist. Verstehen tut man sie ohnehin selten, weil sie entweder nuscheln oder das Mikro gerade rückkoppelt. Außerdem gibt es ganz selten etwas wirklich Sagenswertes in die gemeine Runde. Von mir aus sollen Musikpräsentatoren Namen von Combos oder gespielten Titeln kundtun oder Kevin und Jessica zum 23. Geburtstag gratulieren, wenn sie unbedingt müssen, aber sonst ist es eher peinlich, was aus des DJ unausgegorenen Mund herausquillt, z.B. Witze über Minderheiten. Das überaus Widerlichste ist leider die ziemlich verbreitete Unsitte bei diesen Unmenschen, zu vorgerückter Stunde Refrains von sogenannten Hits runterzublenden, um die breite Masse zum Mitgrölen anzuregen. Ich prangere das an.
Ursprünglich war es mal die Hauptaufgabe des Schallplattenunterhalters, das Publikum mit Liedern anzuködern, die es hören wollte, dabei ein wenig zu selektieren, um hier und da noch neuere Sachen unterzujubeln, deren Bekanntheitsgrad fernab eines – sagen wir mal – „Passengers“ von Iggy Pop liegt. (Nichts gegen diesen Song. Aus DJ-Sicht nahezu ein Ideal, weil, wenn nichts geht, der geht immer. Aber er strotzt förmlich vor kreativem Tonträgereinlegetalent.) Und insgesamt ist schön darauf zu achten, dass es nicht ganz so wild durch den Gemüsegarten der Weltmusik geht, sondern, dass es auf die Blende dazwischen ankommt. Und Musikwünsche erfüllen? Das hatte mal oberste Priorität. Heute muss man einen Diskjockey schon persönlich kennen oder mit Materiellem bezirzen, damit er einem einen Wunsch erfüllt.
Begrüßen würde ich es, wenn diese Menschengruppe Diskotheker sich in bescheidener Zurückhaltung üben würde, was die sprachliche Untermalung ihres Vortrages betrifft, und sie sich dramaturgisch auf die Abfolge des musikalischen Reigens konzentrieren täte. Der DJ sollte eine gesunde Mischung zielgruppenorientierter und aktueller Musikstücke darbieten und nicht immer dasselbe spielen. Ach, wie wäre das originell. Sonst würde ich die schon Anfang der Achtziger ausgerufene Option der formidablen The Smiths im Song „Panic“ ziehen: Hang the DJ!
Onkel Rosebud
P.S.: Dieser Text erschien erstmals am 26. Juni 1996 in ad-rem, Jahrgang 8, Nummer 17.