Von Matthias Bosenick (07.02.2023)
Nach 25 Jahren endlich das Debütalbum! Aber so richtig stimmt das nicht: Nach den ersten Demos in den Neunzigern legten Sermon aus İzmir 2004 die gemeinsame Arbeit nieder. Erst jetzt besann sich Gitarrist Cem Barut der einstigen Aktivitäten und sammelte neue Mitstreiter um sich, mit denen er das Album „Till Birth Do Us Part“ einspielte. Die Mischung überrascht: Doom, Death, Gothic, Electro, Symphonic-Zeugs, Growls, Melodien, Most und Mörtel, alles nacheinander, manches miteinander, da wollen sich Sermon nicht auf immer denselben Sermon einlassen und machen aus dem Album beinahe eine Art Compilation. Fett produziert, abwechslungsreich, spannend!
Das fünfköpfige Trio, das einst ein Quartett war, packt in das Debüt alles hinein, auf das es gerade Bock hatte, und das ist eine Menge. Eine Menge Holz vor allem. Es doomt mit fettem Sound, doch über den tiefen Riffs und den dunklen Growls liegen höher angeschlagene, beinahe folkige Melodien, Sermon loten das Frequenzspektrum und füllen den Schädel damit komplett aus. Die Musik ist schwer, und zwar schwerer als so manche Musik, auf der das Etikett „Heavy Metal“ prangt. Und das, obwohl Sermon sich nicht auf den Doom und den Death Metal der reinen Lehre beschränken, sondern Elemente einbauen, fette Soundteppiche, mitreißende, ins Unendliche gestreckte Melodien, und da, sind das Chöre? Klingt die Gitarre dort nicht eher wie ein Dudelsack? Und ist das hier ernsthaft eine Orgel? Und Moment – was macht da plötzlich der Technobeat?!
Musikalisch finden sich auf „Till Birth Do Us Part“ einige wenige Elemente und Passagen, die man eher in die leicht zugängliche Charts-Metal-Ecke schieben würde, pompös, opulent, mit leichter Neigung zum Kitsch, besonders, sobald Streicher ins Spiel kommen, und immer dann, wenn man kurz davor ist, schmerzverzerrt zu gucken, growlt die Stimme alles nieder und wischt alle aufkeimenden Gedanken an Massentauglichkeit hinfort. Puh, das ging gerade nochmal gut! Und dann macht die ganze kuriose Melange nochmal extra Spaß.
Bereits im vergangenen Jahr veröffentlichten Sermon eine selbstbetitelte EP mit drei Tracks des nun kommenden Albums, „Destined To Decline“, „Posthumous“ und „Requitement“, und diese drei klingen noch am ehesten wie aus einem Guss. Auf dem fast einstündigen Album erscheinen sie in anderer Reihenfolge in die insgesamt acht Tracks eingefügt und lockern den Gesamtsound nicht allein auf, sondern verbinden die wild zusammengestellten Ideen. Wie ein Wink mit dem Sargdeckel: Hier, diese Musik ist Doom, in der Basis ihrer grundlegenden Fundamente, den ganzen Rest können wir einfach auch noch und haben keinen Bock auf Grenzen.
Zudem scheint es, dass sich das als Trio wiedererweckte einstige Quartett erst im Verlauf der Aufnahmen zum Quintett mauserte. Die Urversion von Sermon aus den Neunzigern bestand zu Zeiten der Demos „Cosmic Prisoner“ und „Sea Of Meanings“ aus vier Leuten: Gitarrist und Bassist Hakan Keklikçil, der schon damals programmierte Drums in den Death Metal einbaute, Keyboarder Özden Çairli, Sänger Kamil Uslu sowie Rhythmusgitarrist Cem Barut – der einzige, der auch heute noch dabei ist. Als erste neue Mitstreiter verpflichtete er Durmuş Kalın, der Gitarren, Keyboards und programmierte Drums übernahm, sowie Forgotten-Sänger Harun Altun. Nachdem die Promofotos in Triobesetzung entstanden, gesellten sich Bassist Mustafa Sır und Schlagzeuger Serhan Tombul dazu.
Vorbilder und Reminiszenzen finden sich sicherlich manche auf „Till Birth Do Us Part“, das übrigens die Abnabelung von der Mutter thematisiert. Den gruftigen Anteil borgen Sermon bei Paradise Lost aus, etwas Type O Negative meint man herauszuhören, Opeth, Moonspell, Die Krupps. Wenn dann nach fünf, sechs Stücken erstmal Stille einsetzt und man denkt, die Platte sei vorbei, setzt plötzlich ein technoider Beat zum gruftigen Metal ein, und man glaubt, es mit einem Bonus-Remix zu tun zu haben, doch gehört alles schlichtweg in den Sermon-Sound, wie ihn das Quintett heute für sich reklamiert, und mit dieser deutlich überraschenden Kombination machen die fünf aus İzmir es genau richtig, weil alles andere gibt es ja schon, und jede genretreue Variante ist bereits hinlänglich auserzählt. Im Crossover liegt das Potential.