Von Onkel Rosebud (Januar 2023)
Meine Freundin ist eine Verfechterin des Lebensentwurfes, dass man mindestens zwei Sachen im Leben überdurchschnittlich gut können sollte. Falls die eine Sache mal wegbricht, bleibt einem dann immerhin noch die andere, ohne dem Staat auf der Tasche zu liegen und das Dasein gepflegt zu bewältigen. Interessanterweise kann sie viel mehr als nur zwei Aktivitäten, wovon man leben könnte, richtig gut, aber für mich trifft es tatsächlich zu, genau in zwei Fällen „better than the rest“ zu sein.
Das eine ist mein Beruf. Ich tue seit Jahrzehnten tatsächlich das, was ich studiert habe, stehe gern auf, um zur Arbeit zu gehen, und bin in meinem Fachgebiet sowas wie ein anerkannter Experte. Das andere kompensiert den Mangel an Kreativität, das mein Berufsleben mit sich bringt, und widerspiegelt die Sehnsucht, doch vielleicht auch das Hobby zum Beruf machen zu können.
Das fing auf einem Kindergeburtstag an, als ich so sieben/acht/neun Jahre alt war. Bei diesen Veranstaltungen war der Höhepunkt immer die Stuhlpolonaise. Bei uns hieß das „Reise nach Sundevit“ (nach dem gleichnamigen Buch von Benno Pludra, einem Klassiker der DDR-Kinderliteratur). In der alten BRD nennt man das „Reise nach Jerusalem“ oder „Reise nach Rom“. In Österreich und der Schweiz ist der Begriff „Sesseltanz“ gebräuchlich. Unterm Strich geht es darum, mit beliebig vielen Mitspielern, durch musikgesteuertes Laufen und Stoppen, einen einzigen Gewinner zu ermitteln. Der Wettkampfgedanke und die damit verbundene, subtile Vorbereitung auf ein Leben in unserer Gesellschaftsordnung war mir als Kind schon zuwider. Ich wollte der sein, der die Musik aussucht und auf die Stopptaste drückt, damit ich nicht einer der anderen sein muss, die sich einen Stuhl suchen müssen, obwohl es einen zu wenig für alle gibt. So wurde ich DJ. Lieber tanzen lassen, als selbst zu tanzen, ist bis heute mein Credo.
Damit einher ging ein gewisser Qualitätsanspruch, die Tanzenden auch an der Seele zu rühren. Neben der handwerklichen Komponente, als DJ einen Flow zu erzeugen, der einen Song oder eine Musikrichtung nahtlos in den/die nächste/n übergehen lässt, braucht es dafür Auskennertum und dramaturgische Fähigkeiten. Damit bin ich bis heute immer noch überdurchschnittlich besser als eine spotify-Playlist und somit passend zum Lebensentwurf meiner Freundin.
Mit der Einstellung landete ich dann zwangsläufig im Literaturbetrieb und der popkulturellen Unterhaltung, unter anderem in Form einer Sendung beim hiesigen freien Radio, die es auch als Podcast gibt. Plattenkritiken in Stadtmagazinen, 10 Jahre lang eine Kolumne in einem auflagenstarken Studentblatt, die sich einen Kultstatus in meiner Heimatstadt erarbeitet hat. 1999 habe ich ein Buch mit dem Titel „Various Artists: Ich liebe Musik“ herausgegeben. Es versammelte Essays, Gedichte und Illustrationen zu bestimmten Liedern, die Menschen aus meinem Umfeld was Besonderes bedeuten, und der jewilige Beitrag im Buch erzählte die Geschichte dazu. 2020 erschien der professionellere 2. Teil, „Ich Liebe Musik Vol. 2“. Alles keine Weltlitaratur, aber mit ganz viel Herz produziert und in beiden Ausgaben dabei: Matthias Bosenick. Killing in the Name of Matze!
Deshalb freue ich mich besonders, ein Teil des KrautNick-Teams zu sein und dass Matze ab jetzt wie gewohnt regelmäßig, aufpolierte Kolumnen „Was meine Freundin gerne hört“ von damals wieder auferleben lässt. Achtung Spoiler: Freut Euch auf Texte, zum Beispiel über die Band, die es nicht gibt, aber den Triangelcore erfunden hat; Regeln für Open-Air-Surviveln oder auch Anworten auf Fragen, die ihr Euch noch nie gestellt habt, wie zum Beispiel, welches Geheimnis dem Bolero innewohnt; warum der gemeine Mitklatscher den Konzertbesuch vermasseln kann; wie man am besten nichts hört, welche Vorteile eine Wochenendbeziehung mit einem Lied bringt oder wann der Zeitpunkt gekommen ist, den DJ aufzuhängen… und so vieles mehr.
Und später im Jahr gibt es an dieser Stelle auch noch den ein oder anderen Text aus den beiden „Various Artists: Ich liebe Musik“-Büchern, bis meine Freundin wieder genug sehenswertes Kapital angesammelt hat, um in dieser Rubrik wieder vom Hören auf das Sehen zu wechseln.
Onkel Rosebud (Januar 2023)