Von Matthias Bosenick (18.12.2022)
Das Kunstmuseum Wolfsburg mit seiner „Empowerment“-Ausstellung als Ziel, kam die morgendliche Nachricht, dass A Secret Revealed aus Würzburg spontan beim „Gravefest“ im selbstverwalteten Jugendhaus Ost in Wolfsburg einspringen würden, genau zum richtigen Zeitpunkt. Acht Bands mit Musikrichtungen, die auf -core enden, als kleinstem gemeinsamen Nenner im von der Stadt frisch sanierten Ost, das die Wünsche der Nutzer dieser 1978 ins Leben gerufenen DIY-Einrichtung nicht nur berücksichtigt, sondern auch noch übertrifft – ein wahres Fest, nicht nur auf dem Grave.
Bei der „Empowerment“-Ausstellung im Kunstmuseum geht es um den stets und ständig erforderlichen Kampf um Gleichstellung, vorrangig zum Thema Frauen, damit einhergehend diverse weitere Aspekte betreffend wie Hautfarben, Behinderungen, sexuelle Diversität; eine Ausstellung, die ob ihrer Üppigkeit und ihrer teils extremen Inhalte allein schon plättet, aber auch, weil man fassungslos darüber ist, dass sie selbst im Jahre 2022 immer noch erforderlich sein muss. Dann schlendert man auf dem Weg ins Ost noch kurz am lokalen Weihnachtsmarkt vorbei, von dem überlaut Clubtracks und Après-Ski-Ballermann-Zeug läuft, und bei den Zeilen „Lea, Lea, Lea im BH, die Schönste an der Bar, die mach ich heute klar“, dargeboten von den namhaften Künstlern Bierkapitän, Andy Luxx & DJ Aaron, fühlt man sich nach Verlassen des Kunstmuseums in seiner Wahrnehmung aufs Eindringlichste bestätigt. Die Welt ist verloren.
Nicht vollständig, zum Glück: Es gibt Inseln wie das Jugendhaus Ost. Heute Abend mit dem Gravefest, für das zunächst neun Bands vorgesehen waren, zwei aus verschiedenen Gründen raus, eine spontan rein, macht immer noch acht mit je einer gleichberechtigten halbe Stunde Spielzeit. Für die ersten Teilnehmer mit dem sinnigen Wortspielnamen Park + Riot aus Leipzig mit ihrer Mischung aus Punk, Stoner und Hardcore sowie den Hardcore-Nachfolger Rebarker aus Magdeburg trifft der Schreiber leider zu spät im Ost ein, aber von Bite, ebenfalls aus Leipzig, erwischt er noch den Rockzipfel. Diese Band bricht Nacken, ihr metallastiger Hardcore besteht nur aus Breaks und feuert das Kopfnicken an, wo man nicht sofort in den Moshpit laufen möchte. Bite, ebenfalls aus Leipzig, setzen bei ihrem Hardcore mehr auf die Wucht, indem sie ihm eine Portion Metal aufdrücken. Dethroned aus Dresden verschieben ihren Hardcore in Richtung Death Metal, und Inner Space, ebenfalls aus Leipzig, brüllen der Meute einen mächtig ruppigen Hardcore ins Gesicht. Die Braunschweiger Hardcore-Band Wither verpasst der Schreiber, weil er eine Führung durch das neue Ost erhält, um gerade rechtzeitig für A Secret Revealed wieder im Saal zu sein. Die Würzburger verleihen ihrem Hardcore Atmosphäre, reichern ihn um diverse Nebenschauplätze bis hin zu Black Metal und Post Rock an und haben als Ersatz für den erkälteten Sänger den ihrer lokalen Black-Metal-Freunde Der Weg einer Freiheit dabei, der das Ost mit seiner Band bereits bespielte. Zum Abschluss gibt‘s mit Chaver einmal mehr eine Band aus Leipzig, die – lediglich zu dritt! – zwar auch irgendwie Hardcore spielt, indes auch Death Metal – und überraschenderweise ganz viel Doom mit nackenbrechenden Stop-And-Go-Breaks und Keifen.
Was an dem Abend am meisten überwältigt, ist die umfassende Dankbarkeit auf allen Seiten. Die Bands dankbar dafür, dass von Anfang an und bis zum Schluss so viel Publikum zugegen ist, das Publikum für die Mucke – und alle zusammen dafür, dass es einen Ort wie das Ost überhaupt gibt. Ein selbstverwaltetes Jugendhaus in kommunalen Räumen ist schon selten genug, und dann noch eins, das frisch von der Stadt saniert nicht nur seinen Geist erhält, sondern auch seine Nutzer, und zudem auch noch den nutzbaren Raum verdoppelt, und das von der Verwaltung einer Industriestadt, die eigentlich davon geprägt ist, dass Individualität nicht zählt, und somit als Kommune unterstreicht, dass sie anders als der Hauptarbeitgeber am Platze diese Weltsicht nicht teilt, das beeindruckt zutiefst.
Bei der Führung durch die neuen-alten Räume trifft man ausschließlich auf glänzende Augen, im neuen Anbau am neuen Eingang, in der neuen Handwerkstatt, im Fahrradwerkstatt, in den Büroräumen, im Heizungskeller, an der Freifläche, im Schlafsaal mit Küche und Waschmaschine für die Bands, in den Proberäumen mit der neuen Elektrik, die sogar berücksichtigt, dass man verschiedene Phasen bereitstellen muss, um Brummen zu vermeiden. Der Aktionsrat durfte sich nicht nur bei der Planung einbringen, sondern findet seine Wünsche sogar übererfüllt. Hier erhielt man sogar weitgehend – sofern baulich möglich – die alten Graffiti, selbst die beklebten Türen mit Stickern und an Tesafilm haftenden Plakaten blieben unversehrt erhalten. Und die Säule vor der Bühne, die eigentlich seit 1978 nervte, existiert noch, oder wieder: das Original, das seinerzeit tatsächlich eine tragende Rolle spielte, draußen auf dem Vorplatz als Segeltuchhalter, und ein die Statik betreffend überflüssiges neues Exemplar vor der Bühne mit der nun erhöhten Decke, die auch übergroßen Musikern Luftsprünge zulässt. Das Ost ist und bleibt eben das weitläufig bekannte Jugendzentrum mit der Bühne mit der nervenden Säule davor. Einzig die illegale Kneipe „Hygiene“ ist auch nach ihrer Wiederentdeckung unzugänglich, aber das bedauert niemand angesichts der unzähligen Verbesserungen. Und das, obwohl es vor anderthalb Jahrzehnten noch hieß, das Gebäude müsse abgerissen werden. Was für eine Entwicklung – da muss man mal sagen: Danke, Wolfsburg!