Von Guido Dörheide (10.11.2022)
Das erste, was ich von „Astral Fortress“, dem neuen Album der unglaublichen und einzigartigen norwegischen Black-Metal-Institution Darkthrone mitbekommen habe, war das vorab veröffentlichte Video zu „Caravan Of Broken Ghosts“. Hier jetzt der Spoiler: Es ist sehr gut. Sogar unglaublich gut.
Der Katzenliebhaber, ehemalige Kommunalpolitiker, Metalsachverständige und nicht zu allerletzt Schlagzeuger und eine Hälfte von Darkthrone, Fenriz, hat es höchstselbst aufgenommen, unter Zuhilfenahme eines Smartphones, das zumindest bei Tageslicht gute Bilder macht. Somit ist das Video hochkant im Smartphone-Format gedreht und wackelt bei jedem Schritt, den Fenriz mit dem Gerät in der Hand unternimmt.
Was die Zusehenden zu sehen bekommen, haute mich um: Die von Fenriz gefilmte Landschaft ähnelt auf geradezu unheimliche Weise dem niedersächsischen Mischwald, der wenige Meter vom Wohnsitz meiner wunderbaren Allerliebsten beginnt und den sie mehrere Male am Tag in Begleitung ihres Collies durchmisst. Ich wusste bislang, dass es nahezu überall (Sachsen, Holstein, Gifhorn) eine Schweiz gibt, aber dass Norwegen auch einen Oberharz hat, war mir neu.
Acht Minuten nimmt Fenriz die Zusehenden mit, derweil singt sein Bandkollege Nocturno Culto obskures Zeug, das zu allem Überfluss noch unten am Bildrand als Text eingeblendet wird und das mich wunder nimmt, warum sich die beiden sympathischen Norweger sich darob nicht in einer Tour kaputtlachen.
Seit ihrer bahnbrechenden und wegweisenden Black-Metal-Trilogie aus den frühen 90er Jahren (1992 – „A Blaze In The Northern Sky“, 1993 – „Transylvanian Hunger“, 1995 – „Panzerfaust“ (ooooh, was für ein Titel….)) haben Darkthrone ihren Sound sehr in Richtung Hörbarkeit gestreamlined, ohne jedoch dabei den Black Metal jemals außer Acht gelassen zu haben. Die Produktion ist um einiges basslastiger, dröhnender und satter als dermaleinst geworden und füllt meine Küche wunderbar bis in den letzten Winkel aus. Riffmäßig und auch vom Songwriting her haben es Gylve Nagell und Ted Skjellum immer noch so drauf wie in den 90ern: Auf das Notwendigste reduziert, eigentlich langsam, aber manchmal auch wieder sehr thrashig losmostend. Skjellum, also Nocturno Culto, krächzt nicht mehr so asthmatisch-todessehnsüchtig herum wie früher, hat aber einen tollen Weg (den durch den Wald bei der überaus faszinierenden Liebsten im Oberharz?) mit viel Hall gefunden, die frühere Positivitätsverneinung mit einer unglaublich spürbaren Wärme zu kombinieren. Dazu spielt er wiedererkennbare Riffs von unglaublicher Schönheit, zu denen sich Nagell, also Fenriz, am Schlagzeug virtuos verausgabt, ohne dabei jemals angestrengt zu klingen.
Das hier wäre nicht Krautnick, wenn ich nicht noch einmal kurz auf einige Songs eingehen würde, oisdann – gemmas a (dafür lasse ich die Synthesizer, die Darkthrone hier neben den üblichen Saiten- und Schlaginstrumenten erklingen lassen, außen vor – hört sie selber raus und freut Euch über diese Darkthronesoundbereicherung!):
„Caravan Of Broken Ghosts“: Neben dem alles überstrahlenden Oberharz-Video gefällt mir hier der beständige Wechsel zwischen Black- und Thrash-Metal, neben dem obskuren und dennoch sympathisch anmutenden Text.
„Impeccable Caverns Of Satan“: Dieser Song beginnt überaus stimmungsvoll, sehr doomig. Man fragt sich ernsthaft, ob Nocturno Culto beim Spielen auf der Gitarre noch alle Fingerkuppen an den Händen hat. Dann zieht das Tempo ein wenig an und er zeigt, dass er es gesangsmäßig unglaublich drauf hat. Das klingt wie Lemmy Kilmister, nur viel, viel langsamer – großartig.
„Stalagmite Necklace“: Ja was für 1 Titel überhaupt? Nocturno Culto klingt ein wenig toter als auf den ersten beiden Stücken, auch hier wieder langsame Doomigkeit mit einem unwiderstehlichem Riff.
Dann „The Sea Beneath The Seas Of The Sea“: Yesss!!! Schon der Titel haut richtig rein! Auch hier wieder Doom vom Allerfeinsten, nach einem sehr schönen Bassgeklimper am Anfang baut sich ein Stück voll erhabener Düsternis auf. Langsame Riffs, dunkles Gegrowle von Nocturno Culto – the dark throne beneath the dark thrones of the holy darkthrone gewissermaßen. Über zehn Minuten lang und niemals langweilend, niemals überflüssig.
Mit „Kervorkian Times“ setzen Darkthrone genau das fort, eine gewisse Hypnotik ergreift die Rezipierenden, ist aber nicht schlimm. Wenn man es nicht allzu schnell praktiziert, kann man dazu sogar vortrefflich headbangen. Vor allem ab der Hälfte des Stücks, wo sich das Tempo in Richtung Midtempo steigert und Riff und Gesang versuchen, sich gegenseitig den Hypnose-Faktor streitig zu machen. Gut, dass das irgendwann vorbei ist.
Kurz vor Schluss gibt es mit „Kolbotn, West Of the Vast Forests“ noch ein kurzes Interlude und dann folgt „EON 2“, eine Anspielung auf das letzte Stück von Darkthrones erstem Album. Wurscht, dass das damals noch technisch anspruchsvollerer Death Metal war – „EON 2“ reißt am Ende nochmal anständig mit. Rättättääähh-Riffs wechseln sich mit „normalen“ Heavy-Metal-(Twin?)-Gitarren ab, sorgen somit für Überraschung, und dann singt Nocturno Culto mal wieder wie direkt aus der Gruft.
Ein stimmungsvoller Abschluss für ein alles in allem sehr hervorragendes Album.