Von Guido Dörheide (10.10.2022)
Dies ist ein Lied über etwas dort. Da ist etwas dort über dieses Lied. Subbachultcha. Hätte mir jemand sammama 2014, als das erste Pixies-Reunion-Album „Indie Cindy“ erschien, gesagt, dass ich dereinst im Zusammenhang mit einem neuen Werk der legendären Pixies auf die Großtaten des 1991er-Abschiedsalbums „Trompe le monde“ referenzieren würde, ohne mich dabei schlecht zu fühlen, ich hätte ihn oder sie a) mit der sprichwörtlichen rhetorischen Wasserwaage vom Hofe gejagt, b) ihn/sie mit derselben im Anschlag noch um einige Häuserblocks gejagt und c) gesagt: „Hömma“, und gemeint: „Hömma auf. Die Pixies sind Geschichte und hätten sich nimmermehr reunifizieren dürfen. Wenn wir die Stimme von Black Francis hören wollen, können wir die Alben von Frank Black erwerben und nebenbei Morrissey hören, die Smiths werden sich ja auch nicht mehr wieder neu zusammentun.“ Nun ist 2022, besagte Wasserwaage ist Geschichte, die Smiths gibt es glücklicherweise immer noch nicht wieder, Frank Blacks Soloalben langweilen und die Pixies haben eine neue Langrille am Start. Kann ja nur wieder nichts werden. Und der überaus gestrenge Herausgeber erwartet einen Verriss – oisdann, gemmas o!
History Lesson, pt. 1: Irgendwann in den frühen 90ern erklärte der damalige Black Francis nach vier überaus geschichtsträchtigen, bedeutenden und bis heute fast alles andere überstrahlenden Albumveröffentlichungen wahlweise per Fax an seine Bandkolleg:innen oder per Interview gegenüber der Weltöffentlichkeit – die Legendenschreibenden sind sich in diesem Punkt anscheinend nicht einig – das Ende der Pixies und machte unter dem Namen Frank Black eine Solokarriere, die nicht arm an Albenveröffentlichungen und guter Musik war, aber irgendwann anfing, mich langzuweilen. Francis‘ Stimme hatte die Schrägheit der Pixies-Ära verloren, die Musik wandelte sich vom Indie-Sound der frühen Tage immer mehr hin zu Americana – alles wirklich sehr gut, aber der Zauber der Pixies-Jahre war leider weg.
History Lesson, pt. 2: Umso mehr freute ich mich, als sich Anfang der 2010er-Jahre eine Pixies-Reunion abzeichnete, die 2014 in der Veröffentlichung des ersten Post-Reunion-Albums „Indie Cindy“ mündete. 2016 und 2019 folgten „Head Carrier“ und „Beneath The Eyrie“. Und – eventuell mit Ausnahme des letztgenannten, das mir ein wenig frischer und origineller vorkam als die beiden Alben davor – hätte Black Francis alle Alben auch unter dem Namen Frank Black herausbringen können. Ja klar, Joey Santiagos klirrende Gitarre hatte immer noch Wiedererkennungswert, David Loverings Schlagzeug erzeugte immer noch dieses charakteristische Pixies-Gepolter, das ich auf den Frank-Black-Soloalben vermisste, auch Paz Lenchantin, die nach „Indie Cindy“ als Bassistin und teilweise Sängerin einstieg, machte einen guten Job und tröstete über den endgültigen Ausstieg der wunderbaren Kim Deal, die bei der Reunion wieder mit an Bord war und bereits vor „Indie Cindy“ endgültig das Weite suchte, hinweg, aber der Zauber vergangener Großtaten wollte sich, trotz teilweise wohlwollender Kritikerstimmen, nicht wieder einstellen.
Kann „Doggerel“ (was soviel heißt wie „Knittelvers“, wieder einmal mehr hält die englische Sprache das wohlklingendere Wort bereit als die deutsche) daran was ändern? Verdammt, ja! Schon der erste Song, „Nomatterday“ beginnt mehr als vielversprechend: Ein entfernt „Subbachultcha“-mäßiges Rumpeln empfängt den mit gemischten Gefühlen an „Doggerel“ herangehenden Hörenden, Black Francis leitet den Song gesprochen ein und beendet die erste Strophe mit „Don‘t waste your time on me“ und die zweite mit „Don‘t waste my time on you“. Dazu spielt Santiago seine typischen hohen, immer leicht klirrenden und quietschenden Riffs, Lovering poltert Pixies-mäßig vor sich hin und – Moment, was ist das? Mit dem Refrain trabt der Song los, entwickelt eine die Hörenden mitreißende Melodie, Santiagos Gitarre schrillt im Hintergrund munter vor sich hin, Lovering poltert und Paz Lenchantin sorgt mit ihrem Bass dafür, dass das Ding mächtig vorangeht. Und spätestens ab den Zeilen „I said hey-ey-ey-ey, Don’t piss in the fountain, I said whoa-whoa-whoa-whoa, Don’t piss in the fountain“ haben die Pixies mich vorerst auf ihrer Seite. Hea hoa hoa hoa hea hoa hea.
Ein erster Song auf einem Album – und zwar irgendeinem Album – sollte entweder ein mit Geigen und/Slash/oder Synthesizern instrumentiertes, an absolute Stille grenzendes Instrumentalintro sein, oder die Hörenden gleich komplett maximalballernd für sich einnehmen, und mit „ Nomatterday“ entscheiden sich die Pixies für Zweiteres. Und überzeugen damit.
Mit „Vault Of Heaven“ wird es dann tatsächlich gleich wieder Americana-mäßig, und das, ohne auch nur annähernd zu nerven oder zu langweilen. Oder beides. Der Song macht Laune und reißt mit. „Dregs Of The Wine“ ist dann wieder krachiger und startet gleich textlich absolut klasse: „While I prefer the original version of ‚You Really Got Me‘ she will defer to the Van Halen version“. Es gemahnt nicht Wunder, dass die in dem Song bezogene Beziehung das Ende desselben nicht überlebt.
Auf „Haunted House“ kriegt Black Francis auch mal wieder den Pixies-typischen hohen Gesang hin, und das klingt nicht nach „Ich muss unbedingt mal wieder den Pixies-typischen hohen Gesang hinkriegen“, sondern nach gerne gemacht und ungezwungen, und dazu spielt Paz eine wirklich tolle Bassbegleitung und Joey Santiago lässt zwischendurch mal ein halbes Solo anklingen, das begeistert. Was er einige Male auf dem Album macht und was wirklich sehr gut klingt.
Der Hammer an „Doggerel“ ist, dass die alten schönen Pixies-Sound-Momente nicht nur mal ab und zu als Pflichtübung auftauchen, sondern eher das Rückgrat des Albums bilden. Ich werde hier jetzt nicht jedes einzelne Lied behandeln, aber das fällt schwer, da ich auf „Doggerel“ keine nennenswerten Ausfälle, Füller-Songs oder sonstige Halbgarheiten ausmachen konnte: „There‘s A Moon On“ wartet beispielsweise mit von den Pixies ungewohnter Rock‘n‘Roll-Attitüde auf, und im Hintergrund wummert der Bass, als wäre es 1989. Auf „Pagan Man“ treibt Black Francis der/dem Hörenden Tränen der Rührung ob seines Gesangs in die Augen – draußen wartet ein Güterwaggon.
So – nun aber mal Schluss hier, das Album lässt auch zum Schluss nicht nach, sondern bereitet Freude noch und nöcher. Da ist wahrlich nicht nur etwas dort über dieses Lied, sondern über das ganze Album in seiner Gesamtheit.
Ich habe von den Pixies nicht erwartet, wahlweise das Fahrrad oder den Rock‘n‘Roll neu zu erfinden oder ein neues „Doolittle“ abzuliefern. Für eine Band, die Ende der 80er-Jahre wiederholt beides getan hat und obendrein für das 1989er-Über-Meisterwerk „Doolittle“ verantwortlich zeichnet, ist es überaus genügend, dass ein neues Album wie, ähem, ein neues Pixies-Album klingt, das nicht nur unterhält, sondern auch Spielfreude und gute (und vor allem gut umgesetzte) Song-Ideen deutlich macht, und fürwahr – das gelingt den Pixies mit „Doggerel“ auf das Vortrefflichste. Verglichen mit ihrem jüngsten Streich stehen die übrigen drei Post-Reunion-Alben wie Pflichtübungen einer Band, die gerne wieder unter ihrem alten Namen touren will, aber künstlerisch den für sie geeigneten Pfad noch nicht gefunden hat, da. Was sie jetzt endlich geändert haben. So was Schönes!