Von Matthias Bosenick (15.08.2022)
Der Wolfsburger Daniel Url macht es andersherum als etwa Alice Cooper oder Nena: Aus dem jahrelang als Ein-Mann-Projekt geführten Dan Scary macht er die Band Dan Scary. Mit Bassist Christian Schwarz, bei dem es sich sogar um einen Rückkehrer handelt, und Schlagzeuger Boxa/Boxer Wagner bekommt der nach vorn treibende Punkrock einen Extraschub. Unfassbar, welche Dynamik da plötzlich hervortritt! Nachzuhören auf der bereits im vergangenen Jahr erschienen EP „Reden ist Quecksilber und Schweigen auch nur Gift“ mit vier Songs, die dem ursprünglichen Düsterpunk Dan Scarys eine mächtige Portion Groove hinzufügen.
Punkrock ist das auf der EP natürlich zuvorderst, das Düstere liegt nunmehr vielmehr in den Texten als im Sound, auch wenn „Regen“ mit dem dunklen Synthiesound die alte Tradition noch am ehesten transportiert. Aber es macht einen erheblichen Unterschied, ob die Drums von einem programmierten Schlagzeuger kommen – nichts gegen Urls Programmierkunst, seiner Solo-Mucke wohnte damit immer ein angenehmer Gothic-Geist inne – oder von jemandem, der mit Spielfreude, Spontaneität und einem variantenreichen Drumming zu Werke geht. Und dann dieser Bass, der groovt, als wäre er den Faith No More der Neunziger entnommen. Was ein Sound! Ist das noch Punkrock? Definitiv!
Tatsächlich finden sich fragmentarisch solche Neunziger-Indierock-Elemente jetzt im Sound der Gruppe Dan Scary, mit ausgewählten Pixies-Rhythmen, wavigen Fields-Of-The-Nephilim-Momenten oder eben funky Bassläufen, aber immer nur kurz in den Punkrock eingebettet, als Brücke, als Mehrwert, der das klassische Uptempo der Punkrocksongs unterbricht und ihnen eine abwechslungsreiche Würze verleiht. Punkrock bleibt es trotzdem, nur eben interessanterer. Dazu kommen die Texte, die sich mit dem aktuellen Zeitgeschehen befassen, mit Konsum- und Kapitalismuskritik, gesellschaftlichen Irrläufern, unschönen Beobachtungen aus dem Alltag. Hauptsongschreiber Url hat wie gewohnt ein Händchen für Ohrwürmer, die vier Songs bleiben schon beim ersten Hören hängen.
Damit ist die Bandwerdung von Dan Scary geglückt. Interessant ist, dass es sich bei Christian Schwarz sogar um einen Rückkehrer handelt, denn mit ihm gründete Url Dan Scary 2013 noch als Akustik-Punk-Duo. Der Bassist stieg aufgrund anderer Verpflichtungen kurz darauf aus und Url machte aus Dan Scary das bekannte Düsterpunk-Projekt. Bis 2019, als Schwarz und Url sich erneut über den Weg liefen und zusammentaten, um Dan Scary mit dem groovenden Bass zunächst live eine neue Ebene zu verleihen und sich dann an die Aufnahmen zu einem ersten gemeinsamen Album machten. Diese unterbrachen sie offenbar, jedenfalls ist davon nichts mehr zu lesen. Plötzlich stand dann Boxer vor der Tür und begehrte um Einlass; Url kannte den späteren Drummer von Ichfunktion, einer noch zu DDR-Zeiten gestarteten Ost-Berliner Punkgröße, sowie deren Nebenprojekt HAF alias Hans am Felsen, mit denen er mit seiner vorherigen Band VEB bereits Bühnen teilte, und Schwarz musiziert mit ihm ohnehin sowieso bereits herum, also fand sich zusammen, was zusammen gehört. Und legt nun diese EP vor.
Mittlerweile arbeitet das Trio Dan Scary an neuen Aufnahmen, im Internet zu hören sind bereits „Nervenbahnenstagnation“ und „German Angst“. Außerdem bereitet sich die Dan Scary Group auf ihren zehnten Geburtstag im Jahre 2023 vor. Livegäste überdies bescheinigen dem angewachsenen Projekt einen erheblichen Energiezuwachs, und der schlägt sich auch auf dieser EP nieder.