Von Matthias Bosenick (04.08.2022)
Was machen Radiohead heute? Pause irgendwie, mit „Kid A Mnesia“ auch mal Resteverwertung, seit sechs Jahren oder so. Dafür bauen Sänger Thom Yorke und Gitarrist Jonny Greenwood mit dem ausgeborgten Schlagzeuger Tom Skinner eben ein neues Projekt, um auch in der Pandemie ihre Version von progressiv-verschachtelter Electro-Rockmusik fortzusetzen. The Smile nennt sich das Trio und unterscheidet sich nicht so wesentlich vom Mutterschiff. Nach all den Jahren versteht man beim Durchhören von „A Light For Attracting Attention“ auch diejenigen, die Radiohead wegen des Gejammers nicht ertragen: Yorke kann das aber auch sehr. So richtig wert ist The Smile das Bohei nicht, das darum gemacht wird. Solide Arbeit, die in Details anstrengt, weil sie nervt. Mehr Rock wäre schön gewesen, so ist es streckenweise ermüdend – leider.
Ja, es gibt Ausbrüche. Die Vorab-Single „You Will Never Work In Television Again“ ist so einer, der rotzig shuffelt und nervös in der Garage vibriert. Solche aus dem Erwartbaren herausragenden Stücke gab’s auch bei Radiohead in den zurückliegenden 22 Jahren immer mal wieder, ansonsten erinnert es eher an die Frühphase der Band. Man muss Radiohead ja schwärmstens zugutehalten, dass sie als eine der wenigen Bands auf diesem Globus nach einer Erfolgskarriere – hier mit dem Neunziger-MTV-Hit „Creep“ – eine Neuerfindung hin zum Experimentellen wagten und damit auch noch Massen in die Stadien mobilisierten; Talk Talk waren ähnlich wagemutig und konsequent, nur nicht mehr so erfolgreich. Bei Radiohead kam mehr und mehr Elektronik in die Rockmusik, dazu wie bei Talk Talk auch mehr Jazz. Voll gut! Nur – hört man sich die Alben wieder und wieder an, überwiegt irgendwann doch die anstrengend hohe Stimme Yorkes, die zum Wimmern neigt. So auch hier: Gleich der nächste Song „Pana-Vision“ ist Geheul zum Piano. Den Eindruck, das schmerzvolle Weinen überwiege auf diesem Album, wird man nach den 53 Minuten leider auch nicht mehr los.
Dabei liegt die Schönheit im Detail, in synthetisch anmutenden gebrochenen Beats, in funky Bassspielereien, hübschen von Keyboard-Streichern unterlegten Melodien, verschachtelten Afrobeats, überraschenden elektronischen Gimmicks, entspannten Akustikgitarrenpassagen, untrötigen Tröten, sperrigen Strukturen. „Thin Thing“ etwa kombiniert Afrobeat mit Operette und hebt sich als nächstes erst aus dem Fluss heraus. Für die Polyrhythmen ist Skinner zuständig, der ansonsten bei den Sons Of Kemet trommelt, einer postmodernen Jazzband aus London. „A Hairdryer“ ist das nächste zappelige Jazz-Electro-Stück. „We Don’t Know What Tomorrow Brings“ klingt mit dem zickigen Keyboard im Hintergrund, den Schrammelgitarre und dem Galopptempo nach Spätsiebziger-Wave-Postpunk, herrlich.
„Free In The Knowledge“ hätte sich als Rockballade auch gut 1995 auf „The Bends“ gemogelt haben können. Zwei echte Radiohead-Stücke beinhaltet das Album übrigens tatsächlich: „Skrting On The Surface“ (hier echt ohne das i) und „Open The Floodgates“ spielte die Hauptband bereits mehrfach live; beide Stücke erfüllen indes vielmehr den Tatbestand des Jammerns, nicht zuletzt, weil sie sogar ursprünglich Live-Solo-Songs von Yorke waren. Parallel zu The Smile haut Yorke übrigens noch die Electro-Ambient-Single „5.17/That’s How Horses Are“ heraus. Mit Electro hat er’s solo ja, seit „The Eraser“ brachte er immer wieder unrockige Alben heraus, ebenso mit seinem anderen Seitenarm Atoms For Peace, allesamt sehr nicht Indierock und richtig gut.
„A Light For Attracting Attention“ hat also ganze fünf Songs, die herausragen und für die man gern hinhört, der Rest ist anstrengend, weil Yorke es nun wirklich mit dem hohen Jammergesang übertreibt. Eine EP hätte gereicht. Jungs, die Pandemie hat uns allen zugesetzt, reißt euch mal zusammen und rockt! Heulen könnt ihr noch, wenn ihr alt seid. Man muss es leider sagen: Das zu Unrecht als Supergroup bezeichnete Nebenprojekt von Radiohead ist bei aller Kreativität und Experimentierfreude doch größtenteils langweilig.