Von Matthias Bosenick (21.06.2022)
Mit einem guten Witz fängt das neue Vinterdracul-Album an: Der erste Track auf „The Lee Variations“ heißt nämlich „End Scene“. Das Duo aus Baltimore bindet alles in sein Vampirkonzept ein, bei dem titelgebenden Lee handelt es sich wahlweise um den Schauspieler Christopher oder um eine Figur aus „The Vampire Diaries“. An die Sisters Of Mercy angelehnten Black Metal wollen Weirding Batweilder und Jean Farriage machen, wie sich die Musiker themengerecht nennen, doch – nun: Die Musik ist ein relativ proberaumiges Gerumpel mit einem enervierenden Geschrei als Gesang. Es fällt schwer, das Album durchzuhalten und die möglichen guten kompositorischen Ideen herauszufiltern; es gibt sie, durchaus, man braucht aber Durchhaltekraft, der Mucke auf den Zahn fühlen zu wollen, sonst beißt man sich die Zähne aus.
Der Black Metal hier entspricht nicht dem Hochgeschwindigkeits-Atmosphäre-Metal, den man erwartet. Es ist eine Art Rockmusik mit tief gestimmten Bratzgitarren, die vor sich hin riffen, versetzt mit Keyboardsounds und einem synthetisch klingenden Schlagzeug, daher wohl die Analogie zu Dr. Avalanche. Hier und da dröhnt eine Orgel mit dem Schreihals um die Wette, dann setzen die Sägen wieder ein und schwingen sich mit dem Instrumentarium zur pandemonischen Kakophonie auf. Das hat uns gerade noch gepfählt. Trotz diverser atmosphärisch angehauchter Sequenzen klingt alles sehr ähnlich und sehr amateurhaft, gelegentlich sogar blutarm. Kann man ja machen, irgendwomit muss man ja anfangen so als Band. Sicherlich knien sich die beiden Mucker da verbissen rein, aber dem Album fehlt dann doch der Biss.
Dabei erzählen Batweilder und Farriage hier sogar eine Geschichte, wie sie in der Info verraten, von einem Mobbingopfer, das auf dem Schulhof Hilfe von einer fremden Frau bekommt, woraufhin seine Prügeltypen reihum wie die Fliegen sterben. Warum sich der Protagonist plötzlich im Zweiten Weltkrieg wiederfindet, bleibt dem Erzähler überlassen, und dass er irgendwann Horrorfilm-Schauspieler wird, definiert dann die Christopher-Interpretation des Titels als die korrekte. Irgendwann wird er offenbar vom Leinwandschurken zum echten Bösewicht oder so, erinnert sich wehmütig an die einfache Zuordnung von Gut und Böse aus den Kriegszeiten und erkennt daraufhin irgendwie, wer die Frau auf dem Schulhof damals wirklich war. Die Lösung gibt die Info nicht preis, und das Geschrei erlaubt es leider nicht, durch Konsum des Albums selbst dahinter zu kommen. Könnte mit Zeitreise und, das kommt unerwartet!, Vampirismus zu tun haben. Bleibt halt offen, nicht schlimm.
Vinterdracul hießen oder heißen musikalisch auch Bornwithhair, vielleicht aber auch nur einer von beiden. „The Lee Variations“ ist das zweite Album nach dem wiederum thematisch passenden „The Murnau Nocturnes“, vielleicht aber auch das dritte, zählt man die „Necrotethical Prelude“ mit. Batweilder betreibt zudem die Webseite Growlsandshrieks. Da all das inklusive dem Label Canticle Throe erst vor drei Jahren an den Start ging, darf man sich skeptisch fragen, wer denn nun tatsächlich dahinter steckt. „The Lee Variations“ nun ist nichts, was man wegen des Wohlklangs hören mag, an dem man aber mindestens honorieren sollte, wie viel Humor darin enthalten ist. An der überzeugenden Kombination von Sisters und Black Metal dürfen die beiden Musiker jedenfalls noch etwas arbeiten.