Von Matthias Bosenick (14.03.2022)
Dave Gahan hat keinen Bock mehr. Seine Stimme hat Startschwierigkeiten, er rollt seinen Gesang nur noch mühselig knarrend an, so richtig motiviert scheint er gar nicht zu sein, aber muss ja. Eigene Songs macht er auch nicht mehr, auf „Imposter“ covert er ausschließlich andere Leute. Nicht mal auf seine Band Depeche Mode hat er mehr Bock, er lässt sein als Soloarbeit deklariertes Album einmal mehr vom Gospel-Electro-Projekt Soulsavers begleiten. Das funktioniert nicht durchgehend gut, sein Vorgänger Mark Lanegan hatte einfach die bessere Stimme für diesen Sound. Schlimme Nachricht: Mit dessen Tod wird das angekündigte nächste Album nicht mit ihm stattfinden. Nicht ganz so schlimme Nachricht: Ganz übel ist „Imposter“ gottlob auch wieder nicht. Und als hätte es Gahan geahnt, gehört Lanegan hier zu den Gecoverten.
Erstaunlicherweise rücken Gahan und sie Soulsavers mit ihren Zusammenarbeiten leicht in die Nähe des gegenwärtigen Tom Jones, der seinerseits seine Vorliebe für Blues und Gospel entdeckte. Eigentlich sind die Soulsavers ja ein Electroduo, doch ist dies hier auf nur eine Person geschrumpft, die indes eine grandios besetzte Band verpflichtete, die die warme Musik einspielte. In der liegt der größte Gewinn dieses Albums: Selbst wenn man die Originale kennen sollte, was nicht für jeden in jedem Fall zutreffen dürfte, erweckt das Album einen Eindruck von musikalischer Geschlossenheit, von einer Einheit, als wäre alles doch aus einer Feder. Und trotzdem muss man sich daran gewöhnen, dass hier der alte, inzwischen stellenweise gekünstelt knarzende Synthiepopheld Gahan singt und nicht etwa ein aus seiner privaten Hölle herausgrummelnder Lanegan. Oder auch ein Tom Jones, dessen Stimme zu einer solchen Musik deutlich besser passen mag; ein Stück wie „I Held My Baby Last Night“ könnte glatt von ihm sein.
Am passendsten singt Gahan, wenn er nicht die großen Emotionen ausstrahlen will. „A Man Needs A Maid“ ist eine sanfte Pianoballade mit Streichersynthies und Chor, die Gahan weitgehend klar begleitet und die deshalb als Gesamtes überzeugender erscheint. Hier fühlt man mit, hier gelingt den Soulsavers auch wieder eine dunkle Stimmung, die man ihnen abnimmt, die nicht nach Laientheater klingt. Denn Gahan erscheint hier bisweilen in der Tat wie ein „Imposter“, ein Hochstapler, wenn er versucht, in den viel zu großen Schuhen anderer Leute zu walken. Grundsätzlich hat er ja ordentlich Ausdruck, und den nimmt man ihm umso mehr ab, je weniger er versucht, sein Terrain zu verlassen. Selbst, wenn er sich „Metal Heart“ aneignet: Er singt es näher bei sich, und die Band gniedelt wieder so rauh wie auf den alten Alben. Denen der Soulsavers, wohlgemerkt.
Sein knarziges Anknurren pflegt Gahan schon etwas länger, das hört man auch bei Depeche Mode, etwa in „Cover Me“ vom 2017er-Album „Spirit“. Denen wiederum stand der Blues deutlich besser, als Alan Wilder noch dabei war; naja, der Mann fehlt der Band ohnehin unersetzlich. Auch wegen der aus heutiger Sicht versierteren Komponisten ist „Imposter“ daher besser gelungen als das Meiste von Depeche Mode seit nach 1993. Zu den Originalen hier gehört überraschenderweise niemand aus dem Bereich Synthiepop, wenngleich die Pet Shop Boys ihrerzeit ebenfalls „Always On My Mind“ von spielten, berühmt geworden durch Elvis Presley, und abseits von Rowland S. Howard auch niemand aus der Gruftibranche, wenngleich viele der Songs hier weit dunkler sind als die der meisten Gothics. Leute wie Bob Dylan und Neil Young haben eben eine Menge Scheiß erlebt, auch PJ Harvey und Cat Power können Lieder davon singen, haha, und die Stücke von diesen beiden sind sicherlich die größten Überraschungen in dieser Zusammenstellung. Was hier überdies fehlt, ist Gahans Beitrag „Nothing Else Matters“ zum Metallica-Tribute; das hätte zwar rein von der Atmosphäre her gepasst, wurde aber nicht von den Soulsavers begleitet.
Von den Soulsavers ist hier indes lediglich Rich Machin dabei, von Ian Glovers Verbleib ist keine Rede. Dafür scharen Machin und Gahan – zum Teil erneut – einen Haufen geiler Musiker um sich: Schlagzeuger Kevin Bales spielte unter anderem mit den Psychedelikern Spiritualized, Bassist Martyn LeNoble hat unter anderem die Mark Lanegan Band, Jane’s Addiction, Porno For Pyros und The Cult auf seinem Zettel stehen, James Walbourne ist Gitarrist der Pretenders, Gitarrist Tony Foster war unter anderem ebenfalls mehrfach bei J. Spaceman engagiert, Sean Read spielte sein Keyboard auch bei Dexys Midnight Runners, Pianist Ed Harcourt ist ansonsten solo unterwegs und selbst die Gospelsingenden Janet Rasmus, Tjae Cole und Wendi Rose haben bereits psychedelische Studioluft in den Lungen. Sie alle machen „Imposters“ zu einem Album, das aus musikalischer Sicht mehr ist als nur eine Begleitung des Depeche-Mode-Sängers.
Dennoch, „Broken“ aus dem Jahr 2009 bleibt unerreicht. Bei dem Album wundert es nicht, dass es Mike Patton auf seinem Label Ipecac herausbrachte. Und auch gleich mitsang. Dort sind die Soulsavers künstlerisch weit besser aufgehoben als im Depeche-Mode-Dunstkreis, aber ach!, Mark Lanegan starb am 22.2.22 in Irland. Das ist in vielerlei Hinsicht tragisch.
Die Songs und Originale:
01 The Dark End Of The Street (James Carr, 1967)
02 Strange Religion (Mark Lanegan, 2004)
03 Lilac Wine (Hope Foye, 1950)
04 I Held My Baby Last Night (Elmore James, 1952)
05 A Man Needs A Maid (Neil Young, 1972)
06 Metal Heart (Cat Power, 1998)
07 Shut Me Down (Rowland S. Howard, 2009)
08 Where My Love Lies Asleep (Gene Clark, 1971)
09 Smile (Charlie Chaplin, 1936)
10 The Desperate Kingdom Of Love (PJ Harvey, 2004)
11 Not Dark Yet (Bob Dylan, 1997)
12 Always On My Mind (Brenda Lee, Elvis Presley, 1972)