Von Matthias Bosenick (09.12.2021)
Ambient und Chill-Out-Musik sind weit gefasste Felder, im Falle von Dream Invasions neuem Album „6.6.36“ heißt das: Soundscapes, die beinahe kopfkinoartige Geschichten erzählen, wechseln sich mit klassischen beatlosen Sequencersequenzen und epischen Flächen ab. Für sein drittes Album in 16 Jahren nutzt Erwin Jadot angenehm oldschooliges Instrumentarium, dessen Sounds wohlig knarzen, wo sie keine glasklaren Pastellflächen ergeben. Der Mann ist hörbar mit dem Synthiepop der Achtziger und der Berliner Schule der Siebziger sozialisiert und hat keine Eile. Kleiner im Titel verankerter Clou: Jeder der sechs Tracks ist exakt 6 Minuten lang.
Mit diesem Zahlenspiel schließt Jadot direkt an das Vorgängeralbum „7.7.49“ an, mehr Deutung ist darin gar nicht zu finden. Dafür in seiner Musik: Mit dem Namen seines Projektes gibt Jadot an, sich in die Träume seiner Hörer einzuschleichen. Was sich zunächst wie eine Bedrohung liest, stellt sich beim Hören der Musik als behutsam und sanftmütig heraus. Also kein Horror, sondern Entspannung; seine Sounds sind warmherzig, seine Strukturen leicht zugänglich, seine Absichten mithin gutartig. Der Track mit den meisten Veränderungen ist gleich der Opener „I Can See The Atoms Move“, die nächsten fünf behalten ihre anfänglichen Strukturen weitgehend bei.
Aus seinen Gerätschaften filtert Jadot vorrangig Sounds heraus, die eben wirklich zum Träumen einladen, aber er kann auch Knarz: Manche Melodieläufe nehmen die Zwei-Ton-Bässe vom Achtziger-Synthiepop auf, und „Too Much Is Never Enough“ trägt mit seinem dronigen Bass die größte Wucht des Albums in sich. Wenn das also eine Trauminvasion ist, dann mag man sich ihr gern hingeben.
Interessant ist Jadots Veröffentlichungsrhythmus: Sein experimentelles Debüt „Inspiration For A Daydreaming Nation“ erschien 2005, damals bereits in Zusammenarbeit mit Daniel Bressanutti von Front 242, der das Album masterte. 2012 verpflichtete Bressanutti Jadot für „Not Bleeding Red“, das Debüt des Projektes Nothing But Noise, an dem als drittes Daniel Bergen beteiligt war, seinerseits Gründungsmitglied von Front 242. Jadot verließ das Trio anschließend und reüssierte erst 2020 mit seinem zweiten Album „7.7.49“. Erstaunlich genug also, dass er nur ein Jahr später schon nachlegt. Hauptsache, das nächste Album heißt nicht „5.5.25“, das wäre eine bessere EP. Exakt 36 Minuten dauert „6.6.36“ nur auf CD, dem Download liegt ein unbetitelter Bonus-Track bei, der indes 4:30 Minuten lang ist. Kleiner Schummler!