Von Matthias Bosenick (11.11.2021)
Dieses Mal eine etwas kürzere Auseinandersetzung – da kommt später im Leben noch mehr! Dabei sind: Pressor mit ihrer Stoner-Postrock-Version eines Synthiesongs, Megalith Levitation mit ihrem Heavy-Acid-Doom-Zweitling und MxAxMxA mit einem weirden, auf Hardcore basierenden 20-Minuten-Album.
Pressor – I Glow (2021)
Nur ein Song, wieder, dieses Mal jedoch nicht ein weltweit populäres Original im psychedelischen Stoner-Sound von Pressor (The Beatles, zur Erinnerung), sondern ein Song der Post-Electro-Band Antethic, ebenfalls aus St. Petersburg. Für ihre Version schrauben Pressor ihre Sludge- und Doom-Härte zugunsten eines atmosphärischen Portrocks zurück. Damit orientiert sich das Quartett eher am synthetischen Original, das, wie das Cover, rein instrumental gehalten ist; schließlich handelt es sich bei Antethic um eine Instrumental-Band.
Dafür verdichten Pressor den Song: Ursprünglich der siebenminütige Auftakt des Albums „Mythographer“, verknappten Pressor das Stück um mehr als eine Minute – uns instrumentierten es anders. Antethic erarbeiten mit Synthesizern eine Musik, die man nicht mit Synthies assoziiert: kein Pop, kein Ambient, kein Techno, sondern – ja: progressive Musik mit Drama, Atmosphäre, unerwarteten Strukturen, weitgreifenden Melodien, Drones, Wumms, Flächen.
Und das spielen Pressor nun also als Rockband nach. Bei ihnen hat das Schlagzeug mehr Drive, steigt der Song direkter ein, nicht mit dem langen dröhnenden Vorspiel, sondern gleich mit dem Thema, das auch Antethic ihrem Stück zugrundelegen, nur dass es bei Pressor offensichtlicher hervortritt. Und dass Gitarre und Bass die Anteile übernehmen, die bei Antethic synthetisch erzeugt sind, zusätzlich bei Pressor ebenfalls versetzt mit elektronisch erzeugten Effekten. Zudem wagen Pressor Abweichungen von der Originalstruktur, verändern das Tempo, fügen mehr Energie in das Stück, als ihm ursprünglich zugewiesen ist, und transferieren es so in ihren eigenen Kosmos. Nur eben ohne die vertraute Heaviness.
Die Single ist außerdem erschienen auf der „Mythographer B-Seides“-Compilation von Antethic. Man sollte sich wohl zwingend mal mit dem Oeuvre dieses Trios befassen!
Megalith Levitations – Void Psalms (2021)
Vor zwei Jahren erst als Neuzugang bei addicted/noname gelandet, sind Megalith Levitations schon mit dem zweiten Album und einer Splitsingle dabei. Vier Tracks hat „Void Psalms“, also genau so viele wie das Debüt der Band aus Tscheljabinsk (Челябинская). Trotzdem kommt es nur auf knapp 50 Minuten Spielzeit, etwas mehr als die Hälfte des Debüts also. Nun, die Musik von Megalith Levitations ufert eben aus. Man erwarte nur nicht, dass sie hier schneller auf den Punkt kommen: Das sollen sie auch nicht, das wäre nicht im Sinne der Sache.
Acid Doom nennen Megalith Levitations ihre Musik sehr treffend. Das Trio bleibt ganz bei sich und dem Stil, schleppt die heavy Riffs gemächlich über die Ziellinie, die in weiter Ferne auf dem Boden aufgemalt ist und sich während des Voranschreitens auch noch nach hinten zu verschieben scheint. Schwere Riffs, monoton aneinandergereiht, dazu beschwörender Gesang und kaum hohe Tonlagen, abgesehen von dem unerwarteten Solo in dem Wahwah-unterlegten „Temple Of Silence/Pillars Of Creation“. Man könnte fast von Stoner sprechen, doch ist die Grundlage für Megalith Levitation nicht pflanzlich, sondern chemisch, ansonsten lässt sich das nicht letztgültig unterscheiden. Vielleicht damit, dass Megalith Levitation bisweilen ungeahnte Agilität an den Tag legen.
Spannend wird es auch, sobald sich die drei Musiker in ihre uferlosen Tracks hineinsteigern. In „Datura Revelations/Lysergic Phantoms“ etwa stemmen sie sich in ihre Riffs, steigern den Nachdruck, mit dem sie sie spielen, heben sogar kurzzeitig die Tonhöhe an, bis sie dann von sich selbst überrumpelt feststellen, dass sie übers Ziel längst hinausgestolpert sind und das Tempo wieder zurücknehmen. Wenn dann abrupt der Schamanengesang einsetzt, ist der Geist längst auf einer ganz anderen Reise. Wie monoton einem die Musik auch vorkommen mag: Megalith Levitation haben immer Mittel, sie mit etwas Unerwartetem anzureichern und die benebelte Aufmerksamkeit an die Tracks zu binden. Mit Recht! Die Zielgerade darf bei dieser Musik gern sonstwo liegen, es gibt immer einige gute Umwege. Ein an Morphine erinnerndes Bariton-Saxophon im finalen „Last Vision“, ohnehin der Ausreißer auf dem Album, ist nur noch das Krönchen dazu.
MxAxMxA – Долгожданный первенец (2021)
Der „Lang ersehnte Erstgeborene“ von Mama also, na, das mag ja ein Blag sein! Abgesehen davon, dass es gelogen ist, schließlich veröffentlichen die bereits 2006 gegründeten Moskauer MxAxMxA seit 2017 beständig Musik, wenn auch zumeist als Split-Singles. Die Grundausrichtung hier ist offenbar Hardcore, was sich in Tempo und Geschrei niederschlägt, aber längst nicht alles abdeckt, was man geboten bekommt. Ähnlich wie Frank Zappa, Mike Patton oder Düreforsög fassen MxAxMxA eine an Stromgitarren orientierte harte Musik nämlich nur als Spielwiese für das auf, was ihnen sonst noch so in den Kopf kommt, und das ist viel, in Samples, Rhythmussprüngen, Tempowechseln und Stilbrüchen wie Folk, Polka, Punk, Metal, Doom.
Derer gibt es derartig viele, dass man kaum hinterherkommt. Hier ein Grunzen, dort ein Polka-Rhythmus, hüben ein Basssolo, drüben ein Ska, Akustikgitarre, und war das gerade ernsthaft ein Saxophon? Und warum schreit der Mann eigentlich so, trotz aller Brutalität kann eine Musik dieser Art doch nur der puren Lebensfreude entsprungen sein. Zumindest macht es Spaß, sich diesem Konvolut hinzugeben. Denn anders als im Mathcore erscheinen die Stilsprünge hier nicht so willkürlich, sondern zwar überraschend, aber gerade noch nachvollziehbar und in sich schlüssig. Und bergen einen immensen Humor.
Von einem Album kann man hier auch nur sprechen, wenn man Grind- und Hardcore-Verhältnisse zugrundelegt: Die 13 Tracks absolviert das Quartett in rund 20 Minuten, die bei dem komplexen Spektrum aber länger wirken. Lob an die Mama, die diesen Brocken auf die Welt brachte! Dabei schlüsseln die vier ihren Bandnamen MxAxMxA ganz anders auf: „Magic Attack My Ass“ nämlich, was nicht wesentlich mehr Sinn ergibt, dafür aber dem musikalischen Chaos eine verdiente Entsprechung. Live muss das sowas von abgehen!
Die Musik von addicted/noname findet sich idealerweise auf Bandcamp.