Von Matthias Bosenick (08.11.2021)
Da legt Jonas Kolb sein Depri-Alias Machyyre auf Eis, weil sich in seinem Leben die die entsprechende Kunst auslösenden Umstände verbesserten, und man beginnt schon, sich angesichts der abgrundtief finsteren Musik, die damit einherging, für ihn zu freuen, da erhebt er sein Literatur-Projekt Puppengott in den Stand des Musik-Alter-Egos, veröffentlicht auf seiner Plattform Xchnum Miiimiiikry das Album „Papa ist zurück“ und gibt der vertrauten Schwärze nurmehr einen anderen Namen. Was bedeutet das nun: Hat sich sein Leben doch nicht zum Besseren entwickelt – oder ist für ihn einfach Schwarz das bessere Licht? Musikalisch jedenfalls bewegt sich Kolb auf dem bekannten, aber ungewöhnlichen Terrain zwischen Black Metal, Ambient und Pop. Künstlerisch wäre es also ein Verlust gewesen, hätte er tatsächlich damit aufgehört.
Angekündigt war zumindest, dass die Möglichkeit bestand, Kolb könne seine Musik fortan verändern. Den Scherz mit dem Schlagerpop tat er noch lachend ab, jedoch war nicht anzunehmen, dass er doch wieder in seine Muster zurückfällt. Zu Hause ist es eben am behaglichsten, und zu Hause ist Kolb in der Dunkelheit, im Schmerz, in der unterdrückten Aggression, im ätzenden Spott. Zu den parallel veröffentlichten sonnigen Hochzeitfotos mag dieses Album nicht passen, es wirkt wie die Leiche, die die frische Gattin im Keller gleichsam zwangsweise und doch aus freien Stücken mitgebucht hat. Sie möge sich vorsehen: Kolbs Narnia ist eher ein Upside Down.
Schon mit dem Titel „Papa ist zurück“ deutet Kolb ein Thema an, das ihn zuletzt massiv beschäftigte, nur dass es jetzt nicht nach der erhofften Erlösung klingt, sondern nach einer unerwarteten Bedrohung (sofern er nicht von sich selbst spricht, aber auch dann lässt es sich als Drohung auffassen). Doch über Angst ist Kolb längst hinweg, er sitzt vielmehr in Lauerstellung, wenn nicht in Angriffshaltung. Nein, nicht Angst bestimmt seinen Rundumblick, vielmehr ist es Abscheu, vor seinen Mitmenschen, vor der Gesellschaft, vor der Kirche, vor Bigotterie, Machtmissbrauch, Verlogenheit, vor Dummheit. Er kübelt seinen Ekel vor alle verfügbaren Füße und klingt auch sehr danach.
Meistens kreischt Kolb seine Texte, getragen und verzerrt, und erinnert damit bisweilen an den „Schattenadmiral“ Dawn aus der Hörspielreihe Point Whitmark. Das Hörspielartige liegt dieser Veröffentlichung ohnehin inne, Atmosphären bestimmen die Sounds eher als herkömmliche Musik. Kolb selbst spricht von Dark Ambient, man mag einmal mehr die Neue Deutsche Todeskunst als Referenz anführen, die sich vor über 30 Jahren dadurch definierte, dass sie vergleichbar schwarze Poesie in vergleichbar verstörende Musik einbettete. Sobald Kolb jedoch klar singt, wird seine wunderschöne Stimme offenbar, und gerade der Kontrast zwischen diesen beiden Vortragsarten gibt dem Klargesang nicht das Heimelige, sondern verstärkt die unterschwellige Bedrohung. Diesem Sangesmenschen ist einfach nicht zu trauen.
Auch hat das Album etwas von einer Compilation, wenn Kolb zwischendurch den brutalen Ein-Mensch-Black-Metal-Generator anwirft, er einen Remix des Stücks „Erika“ vom zweiten „Widderschädelmixtape“ dazwischenschiebt oder sein Gastbeitragender Marc Domin einen eigenen Track bekommt. Dann unterbricht Kolb den Fluss und wirft beim Hörenden nur umso mehr Fragen auf. Als gäbe es davon nicht längst hinreichend viele: Der Eröffnungstrack heißt „Kollision zweier Apostelschädel“, kurz „K2A“, und das ist auch der Titel eines Buches, das Kolb bereits 2016 veröffentlichte, mit der Unterzeile: „Wie man einen Puppengott baut“; dem auf einem USB-Stick in einem Sarg eingebetteten Album legt Kolb auch noch in Kleinstauflage das mit Domin erstellte Buch „Kollision zweier Apostelschädel“ bei, nach Bedarf verziert mit unappetitlichen Körperflüssigkeiten, und es ist nicht anzunehmen, dass es sich dabei um das gleiche Buch handelt.
Der Puppengott wiederum diente Kolb namentlich bereits als Label. Für dieses Musikprojekt führt Kolb zudem jemanden namens Marla van Horn als Mitmusikerin auf, was jedoch nur schwer herauszuhören ist. Fun facts: In dem ersten „Apostelschädel“-Buch bezeichnet Kolb Baal als Puppengott – und van Horn musizierte bereits mit dem ungarischen Black-Metal-Projekt Bál (betrieben ausschließlich von Bálint Rósz, daher der Name, aber trotzdem!) und produzierte mit jemandem namens Fabio Keiner auf dem gemeinsamem Album „Abaddon“ den Song „Baal-Sebub“. Und Kolb war unter dem Alias Xchnum Miiimiiikry im März Gast bei „Freier Fall“ auf van Horns Album „Dreams Became Nightmares“.
Noch im Juli brachte Kolb das Album „Doll You Can Eat“ als Xchnum Miiimiikry heraus, „Papa ist zurück“ erschien nur wenige Wochen später als Puppengott. Und schon liegt ein neuer Track namens „ZAQQUM“ vom Puppengott vor, der nicht auf dem Album enthalten ist. Es hat nicht den Anschein, als würde in Kolbs Kunst jemals die Sonne aufgehen. Nicht schlimm, so lang diese Kunst so ansprechend ist und es in seinem echten Leben so deutlich anders aussieht. Für die Welt um sich herum kann er ja nichts. Hoffentlich!