Von Matthias Bosenick (30.06.2021)
Da ist es also, das Requiem auf Fear Factory: Der Streit zwischen Sänger Burton C. Bell und Gitarrist Dino Cazares überschattet die Veröffentlichung von „Aggression Contimuum“. Vermutlich lenkt die Freude über immerhin noch ein letztes gemeinsames Album der Industrial-Metaler den lechzenden Hörer davon ab, dass es eher überflüssig ist: Die gewohnte Rezeptur in zehn Tracks gegossen, die die Formel um tatsächlich aggressive Ausbrüche reduzieren und ansonsten auf Nummer Sicher setzen. Mehr Pflichterfüllung als Bock auf bretthartes Herumspielen. Die Trennung ist überfällig. Macht mal was Neues, Jungs!
Einmal wie immer bitte! – Und, hat‘s geschmeckt? – Geht so, man merkt, dass die Köche keinen Bock mehr haben. Man kennt es: Bell kann sowohl singen als auch growlen, und in der Tat, seine Stimme ist beachtlich, er ist gut in dem, was er tut. Dazu gibt’s Riffs und Drums in synthetischer Stakkatoform, unterbrochen durch poppige Refrains. Diese Formel reizten Fear Factory in den zurückliegenden Jahren so oft und so sehr aus, dass zufällig hereinhörenden Passanten die Idee kommen kann, es mit Linkin Park zu tun zu haben. Dabei dachte man 2004 noch, Fear Factory hätten mit „Archetype“ endlich ihre anbiedernde NuMetal-Phase überwunden, und dann kamen mit diesem weitere fünf gefällige Alben (mit einem recht okayen darunter; vergessen, welches).
An „Aggression Continuum“ beteiligt sind außer den beiden Streithähnen nur Schlagzeuger Mike Heller, Bassist Matt DeVries und Front Line Assemblys Studiozauberer Rhys Fulber, der in den zurückliegenden 30 Jahren immer wieder für den Industrial-Anteil sorgte. Einen Keyboarder haben Fear Factory derzeit nicht, den Teil übernimmt Cazares gleich selbst. Vertraute Mischung also, und ebenso vertraut erklingt das Ergebnis auch: Moshen nach Zahlen, die Zeit der Experimente liegt weit zurück, auf deren gefilterte und um den eigentlich attraktiven Dreck bereinigte Ergebnisse kann man jetzt ja frei zugreifen. Dabei wäre der Sound des Quirls, mit dem sie die Zutaten vermengen, mal eine aufsehenerregende Neuheit gewesen. Und selbst die Artworks kann man nicht auseinanderhalten.
Das Album ist natürlich nicht wirklich schlecht; schlecht ist nur der Umstand, dass man alles darauf bereits kennt, und zwar nicht nur von Fear Factory selbst, sondern auch von deutlich softeren Bands, die man genau deshalb eigentlich nicht mal unter den Epigonen verortet hätte. Angesichts der letzten fünf eher einfallslosen Alben hinterlässt es daher keinen allzu großen Abschiedsschmerz, wenn Fear Factory nun abtreten. Da war Bells Projekt City Of Fire das deutlich attraktivere.
Interessant ist auch, dass offenbar selbst das Label nicht an die Zugkraft von „Aggression Continuum“ glaubt; immerhin auf Vinyl gibt es wohl zahllose Varianten, die CD erscheint ungewöhnlicherweise ausschließlich im Jewel Case, ohne eine handelsübliche Deluxe-Edition auch nur in Aussicht zu stellen. Mehr als die zehn Tracks bastelten Cazares und Fulber offenbar nicht mit dem Material zusammen, das Bell vor seinem Abgang noch auf Band bannte. Was die beiden nun ohne ihn aus der Band machen, ist offenbar noch ungewiss. Ein Streit um Namensrechte macht es dem Fan ohnehin eher schwer, da noch Empathie zu empfinden; zwar reklamiert Cazares Fear Factory fortan für sich, war aber trotz seiner Gründerrolle, anders als der erst in zweiter Instanz hinzugekommene Bell, nicht durchgehend Bandmitglied. Und ausgerechnet in Cazares‘ Abwesenheit fällt das letzte richtig gute Album, „Archetype“. Und selbst ein weiteres „Demanufacture“ hätte heute enttäuscht, denn das gibt es ja bereits.