Von Matthias Bosenick (10.05.2021)
Das Cover ist vielversprechend: Unter dem Titel „Wanted“ sieht man drei Frauen, die sich mit Lucky Luke bewaffnet in Positur werfen. Was könnte man daraus machen: Female Empowerment im Wilden Westen der frankobelgischen Funnys, ein zum Outlaw gewandelter, verbitterter, desillusionierter früherer Westernheld, möglicherweise eine falsche Verdächtigung, der sich der Schnellschütze mithilfe dreier Superfrauen zu erwehren hat? Nichts davon: In seiner zweiten Hommage an Lucky Luke, der vierten dieser Nebenserie, begleitet Luke drei zwar mutige, aber schutzbedürftige Frauen, die um seine Gunst als Liebhaber buhlen und ansonsten ganz gut aussehen. Wanted ist Luke nur, weil eine Serienfigur das behauptet, um alle Verbrecher wegen des vermeintlichen Kopfgeldes gegen ihn aufzubringen. Ernüchternd und enttäuschend, so ansehnlich die Zeichnungen auch sein mögen. Die einzige schwache Hommage bisher.
Da gibt einem der Verlag schon die Gelegenheit, mit allen Serienregeln zu brechen, und dann bedient man doch nur die Fans. Lauter alte Gegner, die Luke in den 75 Jahren seiner Existenz vorrangig Morris und Goscinny zu verdanken hat, und die auch nur deshalb in dieser Geschichte vorkommen, damit der Fan so seine Aha-Erlebnisse bekommt, buhlen darum, den Erzguten an die Behörden auszuliefern, die selbst daran glauben, dass Luke gesucht wird. Sieht ja auch echt aus, das Wanted-Plakat. Luke erfährt davon zufällig, als er sich eines Angriffs zu erwehren hat. Als nächstes schützt er ein Frauentrio, alphabetisch Angie, Bonnie und Cherry getauft. Die drei wollen nach ihrer Verwaisung die Rinderherde ihrer Eltern gegen eine monetäre Möglichkeit eintauschen, ihr Leben anders zu gestalten. Auf dem Weg in die nächste Stadt attackieren Indianer und Viehdiebe den Treck und Luke muss natürlich eingreifen, auch wenn die drei ihn zunächst als lohnende Belohnungsbeute betrachten. In der Stadt kommt es zum ausgedehnten Showdown.
Natürlich werfen die drei Grazien sämtliche ihrer Augen auf den knackigen Cowboy. Sie sind ohne ihn trotz erheblicher Bewaffnung nicht dazu in der Lage, sich ihrer Haut zu erwehren, und versuchen alles, um ihn dennoch von ihrer Tatkräftigkeit zu beeindrucken. Dabei wäre ein Luke, der tatsächlich von diesen Frauen beeindruckt wäre, eine deutlich interessantere Figur; sie könnten ihm aus der Patsche helfen. Das tun sie hier zwar auch, aber eher, weil Luke sich gelegentlich wie ein Trottel in die Falle locken lässt, und das wiederum passt nicht zu dem Beschützerbild, das er eigentlich abgeben will. Als dann die Verbrecher in der Stadt die Mädels – natürlich – missbrauchen wollen, bedienen sie sich zunächst der inneren Werte der drei: in schönen Kleidern, die sie zufällig dabei haben, Singen, Musizieren und Tanzen.
„Wanted“ ist in weiten Teilen zu stereotyp, um als Geschichte mit Frauen in Hauptrollen im Jahre 2021 von den bisherigen Erzählmethoden abzuweichen. Da hätte man sich von Bonhomme mehr Mut gewünscht, den er schließlich in der ersten Hommage bereits bewiesen hat: „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“ ist schwarz in Inhalt und spärlichem Humor, und auch in den Zeichnungen. Diese sind zwar auch in diesem Band eher ernsthaft als funny, realistischer und brutaler, dabei aber bunter, wenn auch monochromer als in der ersten Hommage und somit näher an der traditionellen Optik der Serie.
Die Enttäuschung über diese vertane Chance ist groß. In den zurückliegenden 75 Jahren gab es bereits zahlreiche inoffizielle Versuchungen, von denen einige weitaus mehr Mut hatten als dieser Bonhomme. Auch bei Spirou, der ja mit den One-Offs ein Vorbild für diese Hommage-Seitenserie ist, wagen viele der Gastbeitragenden mehr Abweichung vom Normalen. Mawils Fahrradcowboy ist hier ohnehin unübertroffen; als fünfter Band ist die Lucky-Luke-Variante von Ralf König bereits angekündigt.
Parallel erscheint als Seriennummer 100, die in Deutschland ja nur deshalb existiert, weil die ersten 14 Nummern fehlen und man die Subserie Kid Lucky in die Hauptzählung integriert, unter dem einfallsreichen Namen „Die Ursprünge – Western von Gestern“ ein Band mit den beiden allerersten Lucky-Luke-Geschichten „Arizona 1880“ und „Die Goldmine von Dick Digger“, die Morris vor 75 und 74 Jahren zeichnete und im Spirou-Almanach veröffentlichte. Ein schöner nostalgischer Blick ins Comiczeichnen der Jahre 1946 und 1947, als die Szene erst erblühte und sich die Autoren und Zeichner noch austobten, als die Figuren noch rundlicher waren und nur vier Finger hatten, als die Geschichten erst Stringenz lernten und als Dramaturgie noch nicht im Zentrum der Kunst stand. Erstveröffentlichungen sind dies in Deutschland mitnichten: Im Rahmen der Reihe Lucky Luke Classics sind beide Geschichten bereits erschienen. Dennoch ein lohnenswerter Retroband.