Von Matthias Bosenick (06.05.2021)
Die Geschichte dieser EP reicht 40 Jahre zurück, zu einer gemeinsamen Tour, doch als sich Mitglieder von Killing Joke und Joy Division dann endlich wie verabredet zu den vorliegenden Aufnahmen trafen, gab es Joy Division ja längst nicht mehr. Erst 1993 kam es zwischen Jaz Coleman, Kevin „Geordie“ Walker und Peter Hook zu spontanen Sessions, die bis 2019 als verschollen galten. Drei dieser Songs waren rettbar und liegen nun als transparente 10“ vor. Die Songs sind erstaunlich zeitlos und lassen tatsächlich beide beteiliget Projekte heraushören, ohne dass sie wie die Veröffentlichungen von New Order oder Killing Joke aus jenem Jahr klingen. Luftiger Wave-Pop mit Emotion und Melancholie.
Zum Geleit erstellten die drei Beteiligten ein Musikvideo zur A-Seite „Remembrance Day“, das sich auf die Jetztzeit bezieht, mit der Coronapandemie als Thema, von der natürlich 1993 noch keine Rede gewesen sein kann. Der Clip unterstreicht die traurige Stimmung des Songs, der beinahe weich, federleicht ohne Drums auskommt, in dem Coleman von Hook ermuntert seine Stimme nur selten zum Geschrei erhebt, sondern sie an die Sanftheit der Musik angleicht. Walker webt auf seiner verzerrten Gitarre den Teppich, auf dem Hook den Bass tirilieren lässt. Auch auf Hooks Konto gehen die Keyboards, mit denen der Song zudem allmählich ausfadet.
Die ganze EP klingt weder exakt nach Killing Joke noch nach Joy Division oder New Order, ist also weder heavy postpunkig noch düster waverockig noch elektronisch tanzbar. Dennoch ergibt sie ein Filtrat aus Kernelementen der beteiligten Musiker, die ihre Signaturen hier spontan zu einem neuen, eigenen Soundkörper vermengen. Das setzt sich auf der B-Seite fort, mit „Giving Up The Ghost“, dem einzigen Track mit etwas Schlagzeug, und „Scrying“, das wieder wie der erste Song beatlos auf Atmosphäre setzt. Im Refrain von „Giving Up The Ghost“ klingt indes eine Melodie an, die dem Rezensenten aus dem Killing-Joke-Songpool vertraut ist, die er aber nicht zuordnen kann.
Die Geschichte hinter diesen drei Songs beinhaltet fünf weitere, die bei den Sessions entstanden, die aber nicht mehr rekonstruierbar waren. Das Internet erzählt, dass Hooky selbst immer wieder sagte, er habe sämtliche seiner jemals getätigten Aufnahmen parat, bis auf diese eine. Im November 2019 war es der frühere E.G.-Records-Mitarbeiter Chris Kettle, der Coleman ein DAT mit den Aufnahmen in die Hand drückte. Und wer weiß, womöglich ist diese Erstveröffentlichung der Auftakt für eine neue Kollaboration. Das Vinyl dieser 10“ ist transparent, ein Gig-Flyer liegt bei und Coleman und Hooky lassen sich in den Linernotes zu dieser Sache ordentlich aus.
Obwohl Walker und Coleman zur Gründungsbesetzung von Killing Joke gehören, ist der Name als Kollaborationspartner für diese Platte nur bedingt zutreffend: 1993 gab es Killing Joke im Prinzip nicht, einmal mehr. Es war die Pause zwischen „Extremities, Dirt And Various Repressed Emotions“ 1990 und „Pandemonium“ 1994, in der sich Coleman anderen Dingen widmete und der Rest des Teams ohne ihn Murder Inc. aus der Taufe hob. Währenddessen verscherzten es sich New Order mit dem chartsorientierten Dancepopalbum „Republic“ und der Trennung von Factory Records mit den Fans. Danach war auch erstmal für acht Jahre Ruhe im Hause der Joy-Division-Nachfolger.
Und so erklärt sich dann auch der Name des Projektes: K÷, also K Division, also Killing Joke und Joy Division, weil sich beide Bands bei einer gemeinsamen Tour darauf einigten, mal zusammen etwas aufzunehmen, was eben erst 1993 wirklich erfolgte. Und die 93 ist natürlich eng mit der Spukgestalt Aleister Crowley verbunden, in dessen Neureligion Thelema diese Zahl einen zentralen Stellenwert hat. Passt ja zu Schwurbelkopp Coleman, der Anleihen an Crowley und dessen Magick gern in seinen Sachen unterbringt. Wenn er denn meint. Nach seiner Auffassung findet sich darin auch ein Inspirationsquell für die vorliegenden Aufnahmen, aber das kann man getrost ausblenden und einfach die drei wirklich schönen Songs genießen.