Von Matthias Bosenick (23.03.2021)
Stimmt, Synthiepop und Industrial hat er noch gar nicht zerstört, wobei Industrial ja eigentlich bereits die Zerstörung von Synthiepop ist. Für das Projekt De Golden Lepel tat sich Zauberdrummer Jörg A. Schneider mit Rolf Leo Kaiser zusammen, genannt Fidel, der zu Schneiders Drums und Drones am Keyboard improvisierte. Da dieser Fidel während der Postproduktion verstarb, versteht Schneider dieses Doppelalbum als ein Tribut an seinen langjährigen Freund. Wer dieser Fidel indes genau war, lässt sich nicht googeln, aber seine Art, dem Keyboard schräge Sounds zu entlocken, passt zu der Art Schneiders, das Schlagzeug per Zufall zu bedienen. Gelegentlich entstehen dabei sogar relativ geradlinige Tracks, vom Pop dennoch meilenweit entfernt. Ein typisches herausforderndes, großartiges Schneider-Hörerlebnis.
Schneider und Kaiser wissen, wie man aus vertrauten Apparaturen Töne hervorholt, die einem nicht eben geläufig sind, und das zelebrieren sie auf diesen fast zwei Stunden Soundmaterial. Sie generieren ein Getöse aus schrillen Keyboardsounds, dunklen Drones und willkürlichem Schlagzeug, sie geben dem Zufall ein akustisches Gewand, und wenn es ihnen gefällt, dann entwirren sie das Knäul auch mal, spielen eine Art Takt, einen nachvollziehbaren Rhythmus, und lassen Töne erklingen, die beinahe warm sind und etwas Vertrautes in sich tragen. So dringt in die Kaskaden das Gespenstische, in die Leere das Bedrohliche, in die Ordnung das Chaos.
Der Schlagzeuger ruft die vertraute Bandbreite seines Stils ab, er drischt voran, er poltert los, er klickert und klackt, ganz so, wie man es seit einigen Jahren von ihm in seinen unzähligen Kollaborationen kennt und liebt. Dazu lässt er ein synthetisches Brummen ertönen, als Grundlage einiger Stücke, auf die Fidel dann mit dem Keyboard improvisiert, mit schrillen Sounds, die er in minimalen Melodieahnungen wiederholt, mit warmen Flächen, die man aus dem Radio kennt, mit harschen Tönen, die direkt aus dem Industrial entlehnt sind. Ein gewisser Joachim Kleemann ergänzt das Duo bei zwei Tracks mit seinem Keyboard.
Es verwundert, dass über diesen Kaiser im Internet nichts zu finden ist. Laut Albumbeschreibung handelt es sich um einen 1955 geborenen Hippie, der Anfang der Siebziger an der „Krautrock-Explosion“ beteiligt war und 2020 nach Abschluss dieser einmaligen Aufnahmen verstarb. Kaiser muss in der Nähe von Erkelenz gelebt haben, das verraten Titel wie „Moon Over Gerderhahn“. Und der Aufnahmezeitpunkt ist verewigt in „Am Anfang gabs Fosters am Ende Corona“. Die finalen zehn Minuten überlässt Schneider komplett seinem früheren Freund, dem er „De Golden Lepel“ als Tribut widmet. Physisch gibt es das Album als Doppel-CDr im Digipak.
Und es gibt noch das Album „Der Dohrianer“, ein Geheimalbum, das nirgendwo beworben wird und auf dem Schneider sich allein mit Elektronik und Schlagzeug austobte. Aber das wird hier natürlich nicht verraten.