Von Matthias Bosenick (12.11.2012)
Ein reiner Film aus Grönland ist „Inuk“ gar nicht, wie es der erste Anschein erweckte: Das Filmteam stammt aus Frankreich, der Regisseur – trotz skandinavischen Namens – aus San Francisco. Was man auch merkt, so sehr, wie der Soundtrack kleistert. Aber es geht ja um die Bilder, und die sind, der kostengünstigen Handkamera zum Trotz, mindestens beeindruckend. Es macht sich bemerkbar, dass dem Film eine Dokumentation zugrunde liegt, denn die Handlung als solche ist wahrhaft schmal. Adoleszenz in der Grönländischen Realität im Kontrast zum kulturellen Erbe ist das Thema. Den Grönländischen Anteil am Film machen die vor Ort gecasteten Laiendarsteller aus, vor deren Arbeit man Respekt haben muss. „Inuk“ ist insgesamt eher „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ als „Atanarjuat“.
Die Geschichte ist rasch erzählt: Der 15-jährige Inuk lebt nach einem Unfall, bei dem sein Vater ums Leben kam, nicht mehr im Norden Grönlands bei einer Eisbärenjägerfamilie, sondern mit seiner alkoholabhängigen Mutter im Dänisch geprägten Nuuk. Weil er sich nachts herumtreibt und seine Mutter die Situation nicht im Griff hat, schicken ihn die Behörden zurück in seine Heimat, nach Uummannaq, in ein Kinderheim. Die Leiterin Aviaaja organisiert mit örtlichen Jägern einen Jagdausflug mit den Heimkindern. Inuk wird Ikuma zugeteilt, der selbst ein Alkoholproblem hat und dem deshalb Frau und Kind weggelaufen sind. Beide finden aneinander zu sich selbst. Zwar liegt dem Film eine Dramaturgie zugrunde, weil Inuk mit Kopfhörern auf den Ohren permanent unachtsam ist und einmal zu Gewalt neigt, weil sich auch Ikuma und die anderen Jäger bisweilen als unzuverlässig erweisen, weil Inuk sich in Naja, ein Mädchen aus der Gruppe, verliebt, aber die Geschichte neigt gottlob niemals in ein Extrem oder zu ausufernder Gewalt oder veranlasst den Zuschauer zum Fremdschämen.
Inuk hat Hip Hop und wetterfeste Kunstfaserkleidung, aber hoch im Norden zählen Robbenfellhosen und Kenntnisse über die Beschaffenheit des Eises, insbesondere mit Blick auf die immer kürzer werdenden Eis-Zeiten, sowie der Schlittenhundeführung – und natürlich der Gemeinsinn; das ist die Erkenntnis, die der Film herausarbeitet.Ab und zu kommentiert die Kinderheimleiterin das Geschehen aus dem Off, da schimmert der Dokumentarfilm am deutlichsten durch. Ansonsten dominieren Bilder: von zähnefletschenden Schlittenhunden und Robben am Wasser, aber insbesondere von Eis, Bergen, Eisbergen und den Wetterverhältnissen auf der langen Jagd. Das ist mächtig beeindruckend, ganz besonders auf einer großen Kinoleinwand, und definitiv das Pfund, mit dem der Film wuchert.
Auch die Schauspieler sind wundervoll. Inuk-Darsteller Gaba Petersen ist wirklich in einem Kinderheim aufgewachsen, ist heute 19 und arbeitet als Shrimp-Fischer, und Ole Jørgen Hammeken, der den Ikuma spielt, ist in Wirklichkeit kein so guter Jäger, wie er beim Braunschweiger Filmfest verriet. Der eigentlich angedachte Darsteller sei indes einer, und der konnte nicht drehen, weil er – zur Jagd musste. Ansonsten sei auch Grönland längst in der Moderne angekommen, betonte Hammeken, und das zeigt der Film auch. Auf Grönländische Mythologien hingegen geht er gar nicht ein. So bleibt Inuks Geschichte stellvertretend für die anderer Jugendlicher in mehr oder weniger extremen oder entlegenen Regionen und der Film relevant dank seiner Bilder.