Von Matthias Bosenick (28.09.2020)
Das zweite Album der Electric Family aus Bremen nach der Wiederaufnahme der Aktivitäten enthält oberflächlich wahrgenommen eine Art krautig-folkigen Indie-AOR-Poprock, der in den Details voller grandioser Einfälle und kompositorischem Wagemut steckt. Das lässt das Ensemble um Tom „The Perc“ Redecker nicht vordergründig heraushängen, sondern wendet es schlichtweg an. „Echoes Don’t Lie“ ist ein entspanntes Album geworden; wir werden ja alle nicht jünger, auch die Indie-Helden nicht. Künstlerisch weniger relevant ist man deshalb noch lange nicht.
Auch wenn Redecker vermutlich nur der Zampano ist, der das wilde Rudel zusammenführt, eröffnet seine Handschrift das Album: „Sacred Land“ ist klassischer Perc, schleppender Rhythmus, beiläufig wirkender Gesang, einnehmendes Gegniedel – und schon befindet man sich auf vertrautem Terrain und lässt sich bereitwillig auf die folgende Reise ein. Die hat es in sich: Da eben nicht alle Songs auf nur ein Komponistenkonto gehen, erweckt das Album bisweilen den Eindruck eines amüsant abwechslungsreichen Samplers.
Hier ein Shuffle, da ein Reggae, drüben mit „I’ve Been Waiting For You“ eine weitere folkige Coverversion des Neil-Young-Songs von 1968, den bereits die Pixies 1990 auf „Velouria“ und David Bowie 2002 auf „Heathen“ verewigten, und mit „Mini Mini“ eine latent alberne Verbeugung vor dem französischem Schlager von Jacques Dutronc (im Original „Mini-Mini-Mini“, 1966): Ein weiter Horizont ist eine grundsätzliche Maßgabe für The Electric Family. Im weitesten Sinne lässt sich die Musik noch im Neo-Krautrock verorten; das Progressive, das man von ihnen ebenfalls kennt, tritt hier hinter vornehmlich songdienlichen Strukturen und lediglich latenten Experimenten zurück, die sich eher musikalisch als kompositorisch ausdrücken, also in Soli, Gegniedel oder Uferlosigkeit, nicht in Komplexität oder Verschachtelung. „Echoes Don’t Lie“ stellt vielmehr die Entwirrung eines avantgardistischen Knotens dar, man kann den bunt en Fäden leichter folgen und deren Beschaffenheit bewusster genießen.
Bei diesem hochrangig zusammengewürfelten Personal auf diesem Album ist eine diverse Songmischung aber auch gar kein Wunder. Trotz der Projektanmutung hat The Electric Family eine Art Stammbesetzung, zu der neben Redecker noch Sitarspieler und Bassist Harry Payuta, Gitarrist Rolf Kirschbaum, Keyboarder Andreas Becker und Schlagzeuger Stefan Ulrich gehören. Wenig überraschend spielt auf einem Song Roman Bunka die Oud, dessen Solo-Debüt „Dein Kopf ist ein schlafendes Auto“ von 1980 Redecker erst jüngst auf seinem Label Sireena wiederveröffentlichte. Weitere Gäste sind Extrabreit-, Green- und Grobschnitt-Schlagzeuger Rolf „Admiral Top Sahne“ Möller, Drummer Marlon Klein (Dissidenten, 1. Futurologischer Congress, Real Ax Band, Sun Temple Circus und mit letzteren dreien ebenfalls bereits auf Sireena vertreten), weitere Green-Mitglieder sowie zahllose Mitstreiter aus früheren The-Perc- und The-Electric-Family-Sessions.
„Echoes Don’t Lie“ ist das siebte Album der Electric Family in beinahe 25 Jahren. Das zweite Album „Tender“ wiederveröffentlichte Redecker kürzlich mit einer VD als Bonus. Erhältlich ist das neue Werk überdies auch auf Vinyl.