Von Matthias Bosenick (08.07.2020)
„Der Tod ist leider niemals lustig“, befand Terence Hill alias „Nobody“, und so begegnet die Gesellschaft diesem dem Leben immanenten Phänomen zumeist, indem sie es bestenfalls ausblendet. Gegensätzliche Erfahrungen wiederum machte die Wolfsburger Autorin Sibylle Schreiber, als sie als Lesende einige Zeit im Hospiz verbrachte: Ohne den Tod zu veralbern, begegnet man ihm dort zuweilen überraschend gutgelaunt. Behutsam und warmherzig berichtet Schreiber von Erlebnissen, die Belegschaft und Bewohner mit rührenden, fröhlichen, unerwarteten, schlagfertigen Reaktionen auf das nahende Sterben machten.
Dabei ist das lauthalse Lachen gar nicht zwingend in jeder der Anekdoten gegeben, häufig sind es anrührende Erlebnisse mit Menschen, die längst den Lebensmut verloren hatten und ihn – häufig mit Unterstützung des einfallsreichen Hospizpersonals – auf den letzten Metern zurückgewannen. Der Klassikerwunsch, noch ein letztes Mal das Meer zu sehen, findet hier vergleichbare Entsprechungen, etwa in der womöglich letzten Begegnung mit Lieblingsmusikern, Lieblingstieren oder Lieblingsessen, und obgleich die Transformation des zuvor noch abweisenden, lebensmüden Hospizgastes zum glücklich strahlenden Energiebündel im Grunde stets vergleichbar verläuft, hat man doch jedes Mal feuchte Augen bei der Lektüre. Wer da Kitsch wittert, ist ein harter Hund.
Und es sind nicht die einzigen Inhalte, die Schreiber protokolliert. Denn sie stellt nicht nur die Sterbenden in den Fokus, sondern auch das Personal, das dem Tod bis zu 150 mal im Jahr ausgesetzt ist und somit ebenso häufig den Menschen, die damit mehr oder weniger gut umgehen können. Manche gewinnen ihre Lebenslust nie mehr zurück, sie lassen gar ihren Frust an ihrer Umwelt ab und treffen mit ihrer Aggressivität willkürlich jeden; auch damit muss man umzugehen lernen, und auch da hilft oft Humor. Auch wenn man den Sterbenden in solchen Geschichten nicht eben liebgewinnt, ist es umso berechtigter, sie zu erzählen, weil man als Weiterlebender einen Weg finden muss, damit umzugehen, und es legitim ist, darüber zu lachen. Selbstaufgabe hilft auch niemandem.
Die Geschichten lesen sich, als habe Schreiber sie selbst erlebt und die Gäste in den Tod begleitet, dabei ist sie lediglich die Berichterstatterin dessen, was ihr die Mitarbeiter zutrugen. Ihre Wortwahl, ihre Formulierungskunst ist angemessen behutsam, in den besonders intimen Episoden scheint sie sich auf Zehenspitzen durch die filigranen und fragilen Geschehnisse zu bewegen. Der Effekt ist, dass man wahlweise einen dicken Kloß im Hals bekommt oder vor Salzwasser in den Augen die Schrift nicht mehr erkennen kann. Gleichsam ist Schreiber dazu in der Lage, die unschönen Begebenheiten mit angemessener sprachlicher Rigorosität abzubilden.
Sowohl die Gäste als auch die Angestellten und Ehrenamtlichen hält Schreiber überdies anonym, die Namen entspringen ihrer Fantasie, die Geschichten nicht. Bis auf die letzte, die den typischen schwarzen Humor trägt, den sie schon in ihren Büchern „Ich sehe Männern gern beim Schwimmen zu“ und „Ich wollte immer mal einen Liebesbrief schreiben“ auslebte – und die die Initialzündung für ihr Hospizprojekt darstellte. In diesem Buch verdeutlicht sie anschaulich, wie wichtig es ist, den Wert des Lebens zu begreifen.