Von Matthias
Bosenick (18.03.2020)
Album Nummer 15 in 36 Jahren:
Sepultura pfeifen auf ihre Historie und die Erwartungshaltung der
Öffentlichkeit und thrashen sich munter übelgelaunt durch ein
numerologisches Konzept. „Quadra“ ist ein gewaltiges,
abwechslungsreiches Metal-Brett, dem sogar ein eingestreutes Krönchen
aus Orchesteropulenz sehr gut steht. Es wirkt, als hätten die
Brasilianer einiges an Altlasten abgeschüttelt und bolzten nunmehr
befreit und beflügelt herum. Tut gut!
Mit Bombast eröffnet das Album, und Bombast ist mittendrin immer wieder mal zu hören. Aber eben nicht nur, Sepultura streuen unzählige Ideen in ihre Tracks ein, übertreiben davon aber keine einzige. Angelehnt an das selbstgewählte numerologische Konzept der Quadra (überdies im Portugiesischen auch das Wort für Spielfeld) ist auch das Album viergeteilt: Je drei Songs in einer vergleichbaren Stilrichtung und insgesamt trotzdem respektabel kohärent. Zum Auftakt knüppelt es Thrashmetal mit Geschrei und ordentlich Tempo, dann greift die Band groovend mit Gitarrensound und eingestreuten Tribal-Momenten ansatzweise auf die eigenen „Roots“ zurück, und die Teile drei und vier sind auf eine unpoppige Art progressiv, also vielmehr bei beibehaltener Härte besonders abwechslungsreich und verspielt als verkopft, mit einem Brutalitäts- und Tempoabfall im letzten Teil.
Doch gibt es verbindende Elemente in allen vier Abschnitten: So gönnt sich Andreas Kisser in jedem Song ein Gitarrensolo. Und wie geil er soliert, oldschoolig bisweilen, an Achtziger-NWoBHM-Alleingänge erinnernd. Zwischengestreut sind Chöre und Orchester, und diese Passagen unterstreichen die strotzende Energie der Band, anstatt sie zu verwässern. Oft erscheinen Bilder von klassischen Historienfilmen im Kopf, wie sich die Moderne etwa Musik im Römischen Reich vorgestellt haben mag. Auch gönnen sich Sepultura Momente eingekehrter Kontemplation, mit atmosphärischen Augenblicken oder akustischer Flamenco-Gitarre. Die Wechsel zwischen diesen Elementen und dem Metal-Brett gelingen dabei immer beinahe zwingend. Sogar Pathos ist dabei möglich, und das sogar überzeugend; wenn dann die Orchesteropulenz um sich greift und im letzten Track mit Emmily Barretto von Far From Alaska eine warme Frauenstimme zum Duett aufsingt, sind sämtliche aufploppende Vergleiche mit dem balladeskem Schmonz von etwa Metallica oder Nightwish beiseitegewischt. Das geht hier besser, weil Sepultura nicht ihre Karriere darauf bauen, nicht einmal nur das Album – sie übertreiben es einfach mal nicht.
Hier überrascht außerdem die variantenreiche Stimme von Derrick Green. Er kann amtlich brüllen, auch mal keifen und ebenso ausdrucksstark tief klar singen. Damit ist sein gestalterisches Spektrum breiter als das seines Vorgängers Max Cavalera, mit dem er sich jedoch nach wie vor messen muss, was sich auch auf die ganze Band auswirkt, weil alle ein weiteres „Roots“ erwarten und Sepultura nicht die Chance geben, den eigenen Weg zu gehen und irgendwann einmal befreit bei „Quadra“ zu landen. Aber da teilt Green das Schicksal vieler Nachfolger von charakterstarken prägenden Sängern. Dabei passt er hier so gut in den Bandsound wie nie zuvor.
Der ist überdies geprägt von einem technisch sämtliche Register bedienenden Schlagzeugspiel. Was Wunder, komponierte doch Drummer Eloy Cassagrande bis auf den kurzen Titeltrack sämtliche Songs gemeinsam mit Andreas Kisser. Der ist übrigens zwar das dienstzweitälteste Bandmitglied nach Bassist Paulo Jr., der immerhin bereits auf den ersten Veröffentlichungen dabei war, doch gehören beide nicht zur Urbesetzung. Damit ist Sepultura quasi seit 15 Jahren, dem Ausstieg Igor Cavaleras, ein Franchise.
Das Album endet mit Opulenz, aber etwas abrupt, man wird in die Stille gestoßen. Deshalb gibt es ja auch noch eine halbstündige Bonus-CD mit einem Konzertmitschnitt aus São Paulo im Juni 2015, also sogar noch von vor dem vorletzten Album. Dieser Gig bietet einen Querschnitt überwiegend durch die Post-Max-Alben Sepulturas, inklusive der Nicht-Album-Single „Sepultura Under My Skin“, einem Glaubensbekenntnis mithin, sowie mit „Cut-Throat“ einen Song von „Roots“. Feiner Sound, fettes Brett, gute Songs, und trotz hoher musikalischer Qualität fällt einmal mehr die Abwesenheit eingängiger Hitnummern auf. Die wollen Sepultura auch nicht liefern, die und die Mithüpfbarkeit überlasen sie Soulfly. Die CD gibt es im limitierten Digipak als Bonus sowie in dem Earbook, das zudem eine DVD parat hält.
Alive In Brazil:
01 Choke (von „Against“, 1998)
02 Convicted In Life (von „Dante XXI“, 2006)
03 Sepulnation (von „Nation“, 2001)
04 Apes Of God (von „Roorback“, 2003)
05 Sepultura Under My Skin (Single, 2015)
06 Manipulation Of Tragedy (von „The Mediator Between Head And Hands Must Be The Heart“, 2013)
07 The Vatican (von „The Mediator Between Head And Hands Must Be The Heart“, 2013)
08 Cut-Throat (von „Roots“, 1996)