Von Matthias
Bosenick (22.01.2020)
War die Erstausgabe des Festivals
„Shake Up The Monster“ vor fünf Jahren in Groß Oesingen noch
vom Geist der Nostalgie beseelt, dominierten bei der Fortsetzung eine
kraftvolle Gegenwartsverankerung bei den UK Subs und ein in die
Zukunft gerichteter Blick bei den Gastgebern Hoax. Geblieben sind die
Klassentreffenatmosphäre, ein hochgradiger Partyspaß bei
fantastischer, vom Punk ausgehender Musik sowie die Ungläubigkeit
über die Tatsache, dass 500 Leute mitten in der Woche den Weg in die
Provinz fanden – ins Schützenhaus in Schweimke, Gemeinde
Obernholz, Samtgemeinde Hankensbüttel, Landkreis Gifhorn, südliche
Lüneburger Heide, zwischen Wierstorf und Bottendorf, knapp dort, wo
sich das Meer von der Erdkante ins All stürzt.
Draußen nur Bratwurst. In einem Pavillon-Anbau geschieht schon weit vor Einlass das, was später auf der Bühne auch vonstatten gehen soll: Es wird dem Publikum ordentlich eingeheizt, für das leibliche Wohl ist mithin gesorgt. Genug der Lokaljournalismusfloskeln: Schon die Begrüßung fällt also besonders aus, direkt neben dem Grill parkt zudem ein restaurierter historischer Wagen der Wittinger-Brauerei, die den Abend sponsort. Früher, also bereits in den Achtzigern, war das Schützenhaus in Schweimke ein Hotspot der lokalen Metal-Szene, weil es in Schweimke eine Metal-Band gab, Tempest, deren Nachfolgeband Seducer noch heute aktiv und zudem mit den Gastgebern Hoax aus Groß Oesingen eng verbandelt ist. So nimmt es wenig Wunder, dass eine solche Veranstaltung wie diese ausgerechnet an einem solchen Ort möglich ist.
Wenngleich das Betreten des Venues den Betrachter schon zum Augenreiben anregt: Teppiche allerorts, unzählige Königsscheiben an den Wänden, alles in Holz gefasst, alte Wagenräder unter der Decke, eine nach Scheune aussehende Bühne, ebenfalls mit Orientteppichen ausgelegt – und überall Rauchende. Spätestens jetzt reibt man sich die Augen, ob des Qualms indes. Im noch fast leeren Raum signiert Charlie Harper am Merch-Stand ein Plakat. Der Mann ist mit seinen 75 Jahren definitiv ein Veteran, und das war er zu Hause in England auch schon, als er 1976 die UK Subs gründete. Auch wenn der Mann und seine Band die Zahl der Auftritte pro Jahr inzwischen unter der 200er-Grenze halten, ausbremsen lässt er sich ganz offensichtlich nicht.
Doch bevor Harper davon Zeugnis ablegt, geben sich die Gastgeber die Ehre. Und was für eine: Hoax ignorieren ihren seit 1982 anhaltenden Status als lokale Kultband und steigen gleich mal mit den jüngsten Songs ihrer schmalen Discographie ein. „Männer vom Bau“ leitete als Video-Single das neue Album ein, das den Titel des Festivals trägt, erst wenige Tage alt ist – und das erste komplett neue seit 28 Jahren. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, der frühere Drummer als zweite Stimme und Gesang: In dieser Zusammenstellung belegen Hoax bereits im Opener, dass sie nicht mehr nur eine nostalgische Revue liefern wollen, sondern als Band mit gesteigerter Musikalität reüssieren.
Das hier ist kein reines Suhlen in Erinnerungen mehr, die Thematik ist mit dem Gig vor fünf Jahren abgehakt. Viele neuere Songs bestimmen die ersten gespielten Lieder des Abends, und sie fügen sich in den vertrauten Sound der Band ein, mit Singalong-Refrains und Heidedorfthemen wie Oldtimer, Alltag, Fluchtimpulsen. Auch mit eingestreuten Klassikern wie „Schlaraffenland“ und „Ich dachte nie“ von der Debüt-Kassette „Alles Banane“ von 1987 sowie auch auf dem neuen Album erneut untergebrachten Hits wie „Ophelia“ oder „Home Sweet Home“ klingen Hoax dieses Mal nicht nach Rückblick und Verklärung, sondern nach – Rock’n’Roll.
Das ist das Bemerkenswerteste an diesem Gig: der bisweilen sogar heavy Rock’n’Roll-Einschlag, den Hoax ihren Punksongs geben. Sie spielen die Macht der zwei Gitarren voll aus, arrangieren ihre Stücke entsprechend um, lassen Raum für Soli und musikalische Spielereien, ändern gelegentlich sogar Textpassagen, prügeln dem sofort einsetzenden Moshpit ein Brett um die Ohren und feiern das Hier und Jetzt ebenso, wie sie mit dieser umwerfenden Neuausrichtung in ihre eigene mögliche Zukunft blicken, und das kurz vor dem 40. Geburtstag der Band. Von der Musik sind alle geplättet, in jeder Hinsicht: Das rockt. Und wie schon vorab in Interviews bestätigt Sänger Boris auch auf der Bühne, dass die Zeiten die Band dazu bringen, sich politisch zu positionieren, was sie früher eher nicht taten: „Wir sind gegen rechts“, sagt er, und Hoax spielen ihre antinationalistische Niedersachsen-Hymne „Mir ist kein Hirn gewachsen“. Nach einem kurzen Besetzungswechsel spielen sie noch kurz in ihrer Zweitinkarnation als Ramones Experience, unter anderem das Tribute „Charlie Harper Forever“ zum 75. Geburtstag des UK-Subs-Sängers.
Positionierungen bekommt man später auch von Harper, der während einer Zugabe das Publikum zu „Fuck it up“-Sprechchören auffordert und die um das Wort „Brexit“ ergänzt. „Now you know where we stand“, sagt er und erntet breite Zustimmung. Das Schlagwort „UK sucks“ macht früh die Runde. Spätestens jetzt ändert sich auch Harpers Laune, der zu Beginn des Gigs noch eher missmutig dreinblickt, möglicherweise aber auch lediglich konzentriert, und der bald zusehends häufiger breit grinst – schließlich erinnert sich sicherlich selbst er daran, wie er bereits vor fünf Jahren nur wenige Kilometer weiter darüber staunte, was hier in der Heideprovinz an einem Dienstagabend alles so möglich ist.
Die UK Subs ermöglichen räudigen Punkrock, mit den drei Instrumenten Gitarre, Bass und Schlagzeug sowie einem steinalten Sänger, der beim Singen am Mikrofon scheinbar Gymnastikübungen macht. Man hört einigen Songs noch an, dass Harper ursprünglich aus der Rhythm-and-Blues-Szene kommt, doch ist natürlich der Viervierteltakt mit Rotzgitarre der bestimmende Sound. Einige Male schlägt der Gitarrist Metal-Riffs an, doch der Pogo gewinnt und wühlt die Meute in den ersten Reihen mächtig auf. Je später der Abend, desto wilder der Pogo und desto ansteckender wohl diese Resonanz für die Band. „Where are we here?“, fragt Harper in einem Zugabenblock und lässt die UK Subs „Down On The Farm“ anstimmen, gefolgt von einem mit „And what are we?“ eingeleiteten „Endangered Species“, bei dem Harper das Mikrofon einmal mehr ins Publikum hält und damit zufällig dem ausgelassen pogenden Hoax-Sänger Boris die Gelegenheit gibt, sich als text- und stimmsicher zu erweisen.
Nach der gefühlt siebzehnten Zugabe ist endgültig Schluss. Man hofft auf ein Wiedersehen zu Harpers 80. Geburtstag und drängelt sich um den Merch-Stand. Auf einem der UK-Subs-Shirts sind die Daten der laufenden Tour abgedruckt, ein neonfarben bepinselter Papppfeil mit der Aufschrift „Today“ deutet auf den Ortsnamen Schweimke. Von hier aus geht der Ruf der punkaffinen Südheide also um die Welt, für heute zunächst mindestens nach Hause, was für einige Braunschweig, Wolfsburg, Lüneburg oder Celle bedeutet, auf sogar noch weiter gelegene Landkreise lassen manche Kennzeichen deuten. Danke, Hoax, es war einmal mehr ein Familienfest mit den Lieblingsverwandten und der besten Atmosphäre. Im Winter 2025 wieder?