Von Matthias Bosenick (02.01.2019)
Sun Temple Circus? Nie gehört. Und es dauert auch bis mitten ins zweite Stück, bis man den Aha-Effekt hat: Das dunkle Gegrummel, das da der Gesang ist, kommt doch von Tom Redecker! Noch ein Projekt also von „The Perc“, dieses Mal ein Live-Album, das deutlich an die Zeit der Krautrocker erinnert, seine besten Musikerfreunde teilhaben lässt und dem Zuhörer das Gefühl vermittelt, den Künstlern beim Jammen zuhören zu dürfen. Das ist als kreative Analyse spannend, musikalisch ist es indes so verstiegen wie auch der landläufige echte Krautrock. Egal, das groovt an den meisten Stellen, und die Sitar von Harry Payuta haut sowieso alles raus. So zeitlos wie aus der Zeit gefallen.
Redeckers Bewunderer sprechen bei Sun Temple Circus von einem All-Star-Projekt, und daran besteht auch kein Zweifel, fragt man in den richtigen Kreisen nach. Denn neben Sänger und Gitarrist Redecker sowie Bassist und Sitarspieler Payuta, die mit Sun Temple Circus eine Jam-Fortsetzung ihrer Electric Family auf die Bühnen schickten, gehören dazu Schlagzeuger Marlon Klein (Real Ax Band, Pili Pili, Dissidenten, 1. Futurologischer Congress) und Gitarrist Jochen Schoberth (Belladonna, Artwork, Fetisch:Mensch, Goethes Erben, The Electric Family) – also lauter Leute, die bundesdeutsche Musikgeschichte mitgesteuerten und ein breites Spektrum an Stilen mit Leben füllten. So also auch dieses spielfreudige Album.
Man kann dabei nicht zwingend behaupten, dass sich sämtliche Biografien auch musikalisch im Sun Temple Circus niederschlagen. Zum Glück, das wäre wohl sehr chaotisch. Die meisten Stücke haben einen leicht groovenden Unterbau, auf dem sich die latent fernöstlichen Strukturen manifestieren, mit denen der Krautrock bereits in seiner Blütezeit liebäugelte. Soweit also alles im Rahmen. Etwas unkrautig hingegen ist der Umstand, dass sich Redeckers Sozialisation im gruftigen Indierock strukturell Bahn bricht: Der Groove der Band ist so spröde, wie man ihn von The Perc kennt und liebt. Das unterscheidet diesen Neo-Kraut vom Original und unterstreicht die Eigenständigkeit des Quartetts, das diese Sprödheit nutzt, um darauf ausufernd zu gniedeln, im besten Falle gleich mal eine Viertelstunde lang.
Die ersten vier Stücke entsprechen der bereits über drei Jahre alten Vinyl-Version des Albums, das die Band auf CD um zwei Stücke anderer Auftritte ergänzte. „Out Of India“ stammt von Payutas Solo-Album „Between A Rock And A Hard Place“ aus dem Jahr 2013, „Lighthouse“ schrieb Redecker bereits vor 20 Jahren für The Electric Family und „Et moi, et moi, et moi“, das die Band so gestelzt aufführt wie das Original, stammt von Jacques Dutronc und aus dem Jahr 1966. „Sun Madness“ ist eine extra für den – oder besser: direkt live vom – Circus erstellte Komposition, auch die CD-Bonus-Stücke „Sun Killer“ und „Slide Out, Slide In“ scheinen neue, live entstandene Originale zu sein.
Und wenn das gute Stück Album vorbei ist, ertappt man sich dabei, dass man „Bronx Vanilla“ von The Perc im Ohr hat. Das spricht für die Kohärenz von Redeckers Musik, und außerdem hätte das Stück sich in einer Version vom Sun Temple Circus sicherlich gut gemacht. Vielleicht auf dem zweiten Album?