Von Matthias Bosenick (06.12.2018)
Schwierig, den Soundtrack zu einem Film zu beurteilen, den man nie gesehen hat, und der auch noch ein Remake eines Films ist, den man auch nie gesehen hat, und dessen Musik sich an dem Original-Score orientiert, den man auch noch nie gehört hat. Heißt: Man hört „Suspiria“ einfach mal als Thom-Yorke-Album mit dem Wissen im Hinterkopf, es mit Horrorfilmmusik zu tun zu haben. Das funktioniert sehr gut: Die Post-Neunziger-Radiohead sind allgegenwärtig, Yorke wimmert wie gewohnt und die scheinbar elektronische und durchgehend recht progressive Mucke erzeugt beklemmende Gefühle. Hexerei!
Seit Radiohead mit „OK Computer“ 1997 einen überraschenden weltweiten Erfolg hatten, zog sich die Band zurück und aus dem erwartbaren Muckezirkus heraus. Die folgenden Alben waren mit ihrer komplexen Elektronik alles andere als herkömmliche Rockmusik, die Freude am Experimentieren und an Dunkelheit standen vor der Angepasstheit und dem Kommerz – was den Erfolg nur befeuerte, rätselhafterweise, schließlich sind Massen bekanntlich für Abseitigkeiten nur schwer zu begeistern. Viel von dieser Experimentierfreude geht offenbar von Sänger Thom Yorke aus, und der schuf sich nebenher seine separierten Spielwiesen, wie Solo-Alben oder das Projekt Atoms For Peace. Diese Reihe setzt er nun vier Jahre nach seinem letzten Solo-Album „Tomorrow’s Modern Boxes“ (und zwei Jahre nach Radioheads „A Moon Shaped Pool“) mit „Suspiria“ fort.
Die beiden letztgenannten Alben erwiesen sich dabei als überraschend wenig experimentell und dafür eingängiger – was die Qualität natürlich nicht reduziert. Umso mehr legt er sich für „Suspiria“ in den Wind: Der Großteil der Tracks besteht wirklich aus Tracks, dazwischen streut er dezidiert Songs, zu denen er auch Gesang beisteuert. Mit diesen Tracks verfolgt Yorke offenbar den Plan, im Film Atmosphäre zu erzeugen; da man weiß, dass es sich um einen Horrorfilm handelt, sind die Sounds entsprechend spooky, beklemmend, dunkel. Das passt zu Thom Yorke, obwohl er trotz dunkler Musikfärbung diese tiefe Form der Düsternis bislang nicht so ausgeprägt vertrat.
Da das aber nicht alles ist, sondern dem Originalfilm aus dem Jahr 1977 ein Soundtrack der italienischen Progband Goblin zur Untermalung diente, ließ sich Yorke natürlich auch davon inspirieren. Das wiederum passt aus der eigenen Historie zu ihm: Radiohead und er solo sind mindestens progressiv, wenngleich die Musik nicht dem Soundbild entspricht, das man klassischerweise von Progrock hat. Aber verschachtelt, komplex, unvorhersehbar ist Yorkes Output ebenfalls. Und so sind auch weite Strecken von seiner „Suspiria“-Version. Rockmusik macht Yorke dafür aber nicht: Vielmehr klingt das Album elektronisch, sobald es nicht ein Orchester einspielten und/oder ein Chor einsangen.
Die Stücke mit Gesang entsprechen recht deutlich dem, was man von Yorkes Arbeiten der vergangenen 20 Jahre kennt; die Songs orientieren sich zwar grob an klassischen Strukturen, neigen aber gottlob sehr dazu, diese aufzubrechen. Wie gewohnt trägt Yorke seine Texte mit einem Wimmern vor, das Coldplay-Hörer gern als Gejammer abtun, das hier aber glänzend in die Sounds passt und deutlich andere Emotionen transportiert als Wehleidigkeit. Yorkes gesangliche Zurückhaltung erinnert vielmehr an etwas Lauerndes oder Durchhaltendes, bisweilen beinahe Drohendes. Und es passt gut ins Album, dass die Scoreanteile mit im Yorkeschen Sinne echten Liedern durchsetzt sind; der Fluss passt, die 25 Stücke auf zwei Tonträgern ergeben einen schlüssigen Ablauf, sogar inklusive eines vierzehnminütigen Ambienttracks.
Man kann den Soundtrack also definitiv auch ohne den Film goutieren, und wenn er im Film auch funktioniert, hat Yorke eben alles richtig gemacht. Dem Internet zufolge taucht überdies nur ein Bruchteil der rund 80 Minuten Musik im Film überhaupt auf – insofern ist „Suspiria“ mehr als ein Soundtrack, nämlich ein eigenständiges Album. Gut ist es in jedem Fall.