Von Matthias Bosenick (08.11.2018)
Da hat sich der Meister wohl etwas übernommen: Je nach Berichterstattung zwanzig oder dreißig Jahre lang arbeitet sich Terry Gilliam nun am Don-Quixote-Stoff ab, mit diversen Rück- und Fehlschlägen, und das Ergebnis, das man nun – in Braunschweig ausschließlich beim Filmfest, aber wenigstens immerhin – zu sehen bekommt, erweckt den Eindruck, der Regisseur musste sich am Ende sehr beeilen. Seine Handschrift ist zu selten wahrnehmbar, vieles wirkt zusammengeklebt, dabei lässt sich eine durchaus eigensinnige Herangehensweise an die Quixotische Doppelbödigkeit der Psyche mehr als nur erahnen, und die ist sogar so etwas wie brillant.
Der gesamte – und dazu noch überlange – Film wirkt wie Stückwerk, sehr fahrig, als habe er trotz der langen Vorbereitungsdauer unter Zeitdruck entstehen müssen. Die einzelnen Szenen, manchmal sogar Schnitte, folgen übergangslos wie auf Kante geklebt aufeinander, als läge dem Film kein Drehbuch zugrunde. Diese Holprigkeit lässt keinen angenehmen Fluss zu und wirkt sich auch auf die Ausgestaltung der Figuren aus; ihre Handlungsweisen sind teilweise unmotiviert gegensätzlich. Mit der Konsequenz, dass sie einem nicht ans Herz wachsen, also egal sind, und man sich alsbald sogar langweilt. Die Leistungen der Schauspieler, allen voran Adam Driver („Paterson“) und Jonathan Pryce („Brazil“), tragen daran keine Schuld.
Und doch erahnt man, was Gilliam mit diesem Film eigentlich sagen will. Diesem Meta-Film im Grunde: Er erzählt von einem Werbefilmregisseur namens Toby, der in Spanien einen Film über Don Quixote drehen will und auf der Suche nach Inspiration auf seinen eigenen Hochschulabschlussfilm stößt, den er zehn Jahre zuvor ganz in der Nähe produzierte. Damals machte er den Schuster Javier zum Don Quixote – und stellt bei der Recherche nach den alten Weggefährten fest, dass der Film jede Menge Unheil über das beteiligte Dorf brachte. Insbesondere für Javier, der seine Rolle seitdem nicht mehr verlassen hat und Toby in ein Abenteuer stößt, in dem Realität und Wahn nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind. Bezeichnenderweise trägt Tobys alter Film den selben Titel wie der, den Gilliam hiermit darüber drehte.
Javiers Dorfmitbewohner inszenieren nun eine Welt aus dem Jahr 1605, um damit auf Javiers Wahn zu reagieren; sie wollen ihn damit wohl heilen. Tobys Filmteam indes benutzt Javier später, um einen russischen Investoren mit einer Don-Quixote-Show zu beeindrucken. Toby stolpert dabei von einer Schein-Welt in die zweite und sieht sich mit seinem eigenen Wahn konfrontiert, wenn er die Frauen nicht mehr auseinanderhalten oder Feuer nicht von beleuchteten Stoffbahnen unterscheiden kann.
Dabei bedient sich Gilliam der Motive aus dem Buch von Miguel de Cervantes, insbesondere natürlich beim weltbekannten Kampf gegen die für Riesen gehaltenen Windmühlen, aber auch die Schafherde, die Weinschläuche, die Suche nach der auserwählten Dulcinea, die Belustigung der reichen Schlossherren an des vermeintlichen Ritters Narretei sowie die Versuche der Dorfbewohner, ihn zu kurieren, finden ihre Entsprechung. Gilliam verknüpft diese Elemente mit der Gegenwart, lässt sie also auf moderne Technik, Kapitalismus, Antisemitismus und Flüchtlingskrise treffen. Wie Gilliam den klassischen Stoff in der Moderne verankert, ist dabei an sich grandios.
So weit, so attraktiv. Doch zieht sich der Film arg in die Länge und funktioniert aus den angesprochenen Gründen nur bedingt, die Handlung geht in der Ebenenvielfalt verloren. Zudem lässt Gilliam seine Bildgewalt vermissen; erst gegen Ende verfällt er in die vertraute Opulenz. Ebenso säumig ist Gilliam in Sachen Humor: Seine Mitgliedschaft bei Monty Python bricht sich nur selten und viel zu dezent Bahn, da hätte man sich mehr gewünscht.
„Das Kabinett des Doktor Parnassus“ war auch unter widrigen Umständen entstanden, aber drehte der Regisseur diese Widrigkeiten zu seinen Gunsten und schuf ein Werk, das man sich sehr gern sehr häufig ansieht. Mit der Don-Quixote-Bearbeitung wird das eher nicht geschehen. Leider. Aber Gilliam hat ja offenbar noch ein halbes Dutzend unvollendeter Filme in der Schublade zu liegen.