Von Matthias Bosenick (27.06.2018)
Was für ein Typ, dieser Daniel Bressanutti! Produktiv ohne Ende, man kann kaum erfassen, was sein jüngstes Werk ist, da gibt’s schon wieder zwei neue. Was allein in diesem halben Jahr schon herauskam: Nach der „Existance Oscillation (Possible) Future“-CD und der „Mutantenmaschine“-Kassette seines Projektes Nothing But Noise mit Dirk Bergen, der „CHZWaaR+ZMe+aaL”-Doppel-CD, dem „99.9“-Album mit Edwin Vanvinckenroye und der „DB+Tronics“-Kassette ist „HöllEKtroKraut/HellEctroKraut“ Bressanuttis 2018er-Version von Krautrock à la Can, Neu!, Cluster, Faust, Kraftwerk, Amon Düül II, Harmonia, Tangerine Dream, La Düsseldorf. Er hat gut zugehört damals, das ist unbestritten, und die schiere Kopie wäre langweilig, wenn er nicht seine Expertisen aus EBM-Zeiten mit Front 242 einfließen ließe. Gelungene Doppel-CD.
Dabei ist der Titel irreführend: In schwarzgewandeten EBM-Kreisen ist Hellectro eine auf den Effekt reduzierte Spielart der tanzbaren Körpermusik, schlicht, simpel, auf Krawall gebürstet und mit plakativen Geräuschen und Samples unterlegt. Also etwas komplett anderes, als Bressanutti jemals produzierte, und auch kein Bisschen im Krautrock verankert. Vielmehr orientiert sich Bressanutti an den stoischen Rhythmen der Krautrockpioniere und verziert sie mit wunderschönen Melodien und spacigen Geräuschen, elektronisch erzeugt.
Zugute kommt Bressanutti sein eher unbekanntes Dasein als Schlagzeuger. Man hört klar heraus, dass es ihm der Rhythmus von Klaus Dinger angetan hat, der „Dingerbeat“ oder „Motorik-Beat“, wie er ehrfurchtsvoll genannt wird. Dingers Schlagzeugspiel beeinflusste Horden von Musikern; er war Mitglied in gleich dreien der Bands, auf die sich Bressanutti beruft, nämlich Kraftwerk, Neu! und La Düsseldorf. Zu jener Zeit, in den Siebzigern also, experimentierten die des amerikanischen Popkultur-Einflusses müden Nachkriegsdeutschen mit einer Musik, die den Blues als Grundlage ausklammerte. Eine Stadt weiter, in Köln, verfeinerte ein anderer Schlagzeuger eine Methode, die zunächst seine Band und dann die Musikwelt aufrüttelte: Jaki Liebezeit trommelte bei Can in einer Präzision, die eine Analogie höchstens in der Kunst Leonardo da Vincis findet, einen perfekten Kreis aus freier Hand zeichnen zu können. Die Ergebnisse der im Ausland als Krautrock bezeichneten Musik waren experimentell, ausufernd, treibend, tanzbar, chillig, für damalige Hörgewohnheiten ein Schlag auf die Ohren.
Diese Monotonie beeindruckte Bressanutti so sehr, dass er sich ihrer auch für sein Krautalbum bedient. Seine Kunst ist es indes, das vor 40 Jahren noch per Hand gespielte Schlagzeug auf elektronischem Wege so zu erzeugen, dass es nicht wie ein schlichter Technobeat klingt, sondern tatsächlich den Geist des Krautrocks verströmt. Gleichzeitig verehrt Bressanutti die eher psychedelischen Ausflüge des Krautrocks, allen voran Amon Düül II. Mit seinen zumeist analogen Synthesizern generiert und verfremdet Bessanutti die Sounds, mit denen er sich an diese Vorbilder anlehnt.
Damit entfernt sich Bressanutti nur oberflächlich betrachtet von dem, was er schon mit Front 242 veranstaltete und was er sonst so treibt, ganz unabhängig davon, welche Ausrichtung die Projekte haben: Im Hellectrokraut findet sich der pluckernde Ambient von Nothing But Noise ebenso wieder wie die melodiöse Tanzbarkeit von Front 242 und, wenigstens unterschwellig, auch die verstörenden Geräusche von „CHZWaaR+ZMe+aaL“. Den Moniker Prothèse verwendete Bressanutti überdies schon, bevor er 1981 bei Front 242 einstieg, legte ihn dafür aber ab und reaktivierte ihn nach diversen anderen Projekten erst 2016, aber mit was für einem Output.
Wer nun also Bressanutti wegen dessen EBM-Vergangenheit bis hierhin gefolgt ist, hat einen weiten Horizont, wer hingegen im Hellectro steckengeblieben ist und auf dieses Album stößt, wird sich angewidert abwenden. Das provoziert der Belgier auch, und mit diebischer Freude; nicht umsonst lässt er auf das Cover Schlagworte drucken wie „Elek+rOnisch .B. Musik“ (man beachte die Abkürzung) und „DanielBTronics“. Auch in den Tracktiteln verewigt Bressanutti seinen Spieltrieb; nicht alle verweisen indes so deutlich auf die Inspirationsquelle wie „Endless Endlos“ oder „Kraut & Roll“.
Der Unruhige kündigt derweil weitere Musik an: Für die zweite Jahreshälfte sind sowohl ein neues Ambient-Album mit Nothing But Noise als auch etwas Lärmiges à la Chwaartzmetaal vorgesehen. Front 242 wird man wohl weiterhin nur noch live erleben dürfen, aber immerhin. Dafür hat deren Sänger Jean-Luc de Meyer parallel ein neues Album am Start, zusammen mit Jean-Marc Lederman von The Weathermen, „Eleven Grinding Songs“ (mit 22 Songs in der limitierten Version).