Von Matthias Bosenick (18.05.2018)
Mit einer fragwürdigen Lösung antwortet der dem Freejazz zugerechnete Avantgardist Sun Ra auf den Umstand, dass Schwarze in den USA noch Anfang der Siebziger nicht gleichberechtigt sind: Festgemacht an der Tatsache, dass die NASA keine Schwarzen an ihren Raumfahrtprogrammen beteiligt, will er die schwarze Gemeinde kraft seiner Musik auf einen weißenfreien Planeten umsiedeln. Doch eine Art Mephisto, ein Schwarzer, der sich dem weißen System angepasst hat, hinterfragt Sun Ras Motivation. Eigentlich ist „Space Is The Place“ eine filmische Katastrophe, als Zeitdokument und als Anstoß zur gesellschaftspolitischen Diskussion ist er aber bestens geeignet. Jetzt dank Restauration (und wegen des Ausgangsmaterials in nur schlechter Qualität) erstmals in Deutschland im Kino, auf DVD hingegen nur gebraucht und unerschwinglich.
Filmtechnisch betrachtet, ist an „Space Is The Place“ so ziemlich alles eine Katastrophe: Schnitte, Montage, teilweise schauspielerische Leistungen, Drehbuch und – das mag angesichts des Standes, den Sun Ra musikhistorisch genießt, ketzerisch klingen – auch die Musik ist weitgehend unhörbar, was aber auch am schlechten Sound der restaurierten Fassung liegen kann. Die Handlung ist sprunghaft, Sun Ra selbst wirkt rätselhaft unbeteiligt, die Struktur des Films ist unschlüssig, die Aussage diskutabel. Und doch birgt dieses Episodending einiges an Sprengkraft und Philosophie. Optisch und inhaltlich bedient sich der Film zudem bei zeitgenössischen Blaxploitationhits und generiert mit seinem trashigen Weltallgedöns sogar den Begriff des Afrofuturismus.
Los geht’s damit, dass der sich nicht nur namentlich bei den alten Ägyptern bedienende Sun Ra im Pharaonenkostüm mit seinem Raumschiff auf die Erde kommt, um mittels seiner Musik die würdigen Mitglieder der schwarzen Gemeinschaft von dieser mit dem Sound des Krieges der Weißen dominierten Erde zu erretten. Malcolm X, Black Panthers, Martin Luther King – Schwarze hatten in ihren Bestrebungen um Gleichstellung in den USA herbe Rückschläge zu erdulden; ein Ausgeklammertsein der Schwarzen aus dem NASA-Raumfahrtprogramm dient Sun Ra hier als Aufhänger für seine These, dass Schwarze grundsätzlich nicht Teil der Gesellschaft sind (was er in einer Sequenz einem der Jugendlichen schlagfertig verdeutlicht). Im Umkehrschluss kommt er nun eben mit einer sogar der NASA fremden Technologie aus dem All.
Doch gibt es längst Schwarze, die sich dem weißen System nicht nur angepasst, sondern sich in es eingefügt haben. Sun Ras Antagonist ist der Overseer, der ihn zu einem Spiel herausfordert, das Sun Ra Runde um Runde zu verlieren und dadurch seine Integrität preiszugeben scheint. In kleinen Episoden bildet der Film die Fassetten der schwarzen Gesellschaft ab, vom skrupellosen Zuhälter über die nach Halt suchende Jugend bis zum loyalen Communitymitglied. Dabei gebiert sich Sun Ra wie ein Sektenführer, der über würdig und unwürdig entscheidet; sein Livekonzert, das selbst die NASA trotz einer Entführung des Künstlers erleben will, erscheint wie eine religiöse Liturgie. Das Hervorheben des Schwarzen im Menschen klingt mit heutigem Ohr nach Gruftis, die weißen Weicheier wiederum werden „Punk“ genannt; etwas irreführend, 44 Jahre später.
Jedenfalls antwortet der Film auf die Unterdrückung der Schwarzen damit, dass er die Weißen ebenso behandelt, also nicht minder rassistisch. Mit dem Blick auf die Entstehungszeit und die Umstände bringt man indes einiges Verständnis dafür auf, dass jemand in der Position genau solche Ideen hat. Zumindest wirft Sun Ra einen kritischen Blick auf Schwarze in den USA allgemein und zeichnet kein stereotypes Bild des unterdrückten Opfers. Sogar seine eigene Motivation stellt er zur Diskussion, indem er Jugendliche mutmaßen lässt, er veranstalte das Szenario lediglich, um seine Plattenverkäufe anzukurbeln; erfreulicherweise nicht der einzige Humormoment in diesem Film.
Superhits sind von einem Sun Ra indes nicht zu erwarten gewesen, dafür ist seine Musik viel zu versponnen. Aus Hilflosigkeit rechnet man ihn dem Freejazz zu, doch ist seine Avantgarde noch freier als jener. In „Space Is The Place“ verzichtet sein Arkestra zumeist sogar auf Rhythmen und klingt, als sei lediglich festgelegt, an welchen Stellen jeder undirigiert vor sich hin tröten darf. Mit Blick auf musikalische Details stellt man indes fest, dass hinter der Musik sehr wohl ein Konzept stehen dürfte (auf den weit über 200 Alben von Sun Ra und seinem Arkestra ist die Vielfalt entsprechend größer). Nicht zuletzt der klare soulige Gesang von June Tyson verdeutlicht, dass Ahnung von Harmonien haben muss, wer sie durchbrechen will. Mit ihrem Titelsong „Space Is The Place“ auf den Lippen verlässt man nun das Kino – und diskutiert noch eine ganze Weile über die schiefgelegte Philosophie, die man gerade ungelenkt vorgesetzt bekam. Der Film verwirrt 2018 noch so, als wäre er keine 44 bis 46 Jahre alt. Das muss man auch mal können.
Lief in der Musikfilmreihe Sound On Screen von Universum-Kino und Café Riptide in Braunschweig mit einem Livekonzert des Ensembles auf Zeit im Anschluss.