Von Matthias Bosenick (17.05.2018) / Auch veröffentlicht auf Kult-Tour Der Stadtblog
Der Krimi, die totgerittene Literaturgattung, möchte man meinen, angesichts des Bluttsunamis, der seit einigen Jahren ungebremst über die Leserschaft hereinbricht. Selbst die Variante der Krimis mit Lokalkolorit scheint ausgespült zu sein. Und doch, wie beim ebenso toten Rock’n’Roll liegt’s immer an dem, der die Welle surft, wie der Ritt gelingt, und der Braunschweiger Hardy Crueger weiß selbst bekannteste Surf-Tricks mit einer eigenen fesselnden Suspense-Note darzubieten. Und natürlich kriegt er den Leser vor Ort zusätzlich mit lokalem Bezug und dem „Da war ich auch schon mal“-Auskennertum.
Zwölf neue Moritaten ersann Crueger entlang der 128 Kilometer, die die Oker von der Quelle bis zur Mündung, also zwischen Harz und Heide, durch die Landschaft mäandert. Jeder dieser zwölf Geschichten liegt eine andere Grundform des Krimis zugrunde, jeder ein anderer spezifischer Stil mithin. Inspiration fand Crueger bisweilen in Zeitungsberichten, zumeist aber wohl in sich selbst; in der letzten Geschichte – Spoiler! – begibt er sich auf die Metaebene und lässt eine Art Alter Ego zum Mörder werden (und macht Werbung für seine Lesungen auf Okerflößen in Braunschweig) (und offenbart seine wohl einzige Schwäche: Humorvolle Dialoge wie hier sind nicht so ganz seins, aber Schwamm drüber).
Von Psychopathen, die anderen nachstellen, sei es vermeintlich subtil per Heiratsantrag oder etwas eindeutiger per geschwungener Axt, geht eine Bedrohung aus, die auch Leute nachvollziehen können, die solches noch nie erlebten, weil man Geschichten dieser Art nun doch schon häufig in Funk und Fernsehen vorgesetzt bekam; Crueger gelingt es hier jedes Mal, seine Figuren und die Bedrohlichkeit einnehmend darzustellen, sodass der Gedanke an Vertrautes – etwa wie die klassische Detektivgeschichte oder der rasante Actionthriller – schnell verfliegt. Ihm ist nur aus diesem Grunde auch in einer der Geschichten ein überraschender Twist möglich, der hier jedoch nicht gespoilert sei. Auch senile Senioren, Psychiatriepatienten und Kinder sind vor Cruegers Blutdurst nicht sicher, wenngleich nicht immer Blut fließen muss, damit eine Geschichte spektakulär ist, und das weiß der Autor gut. Da ist ein undurchschaubarer Okerranger, der im Kanu zwei Halbwüchsige jagt, nicht weniger angsteinflößend als ein Stalker, der sich selbst einen Finger abschneidet.
Die Nähe zu seinen eigenen Figuren macht Cruegers Geschichten so eindrucksvoll. Er hat das Händchen dafür, seine Protagonisten – und bisweilen sogar die Antagonisten – so auszugestalten, dass man nicht anders kann als mit ihnen fiebern. So vermag er manch vertrautes Terrain neu zu erschließen. Damit sind hier die Verbrechensarten gemeint; von der motivlosen Schlachterei nach schwedischem Stil (mit erfreulich reduzierter Sensationsgier) bis zum althergebrachten Mord aus Geldnot bilden sie eine breite Palette an Untaten ab und durch Cruegers Feder erhalten sie eigene Akzente. Das örtliche Terrain wiederum ist besonders für Okeranrainer interessant, weil Crueger den Fluss auf ganzer Strecke gut zu kennen scheint und für dieses Buch sogar Zuflüsse als Tatorte einschließt; ansonsten hätten die launige Geschichte aus „King’s Creek“ oder der spukige Hexensabbat in „Eastwick“ keine Daseinsberechtigung. Damit erweitert er selbst Ortskundigen den Horizont und weckt einiges Reisefieber, sobald man den Krimigrusel überwunden hat.
Nicht enthalten ist in diesem zweiten Okerkrimiband übrigens die einstige „13. Okergeschichte“ mit dem Titel „Der Untergang“, die Crueger vor einigen Jahren nach dem ersten Buch als Live-Lesung inszenierte: Die gibt es als pdf überall und als Buch zumindest bei Amazon. Und auf der Oker surfen, das wäre noch was! Ein Krimi für sich.