Von Matthias Bosenick (16.02.2018)
Ist das schon wieder so lang her? Vor sechs Jahren die Abschiedstour, jetzt das Zwanzigjährige? Man kann sich ein Leben ohne das Wuppertaler Vollplaybacktheater gar nicht mehr vorstellen. Eine Alternative existiert nicht, das ist nicht das einzige Alleinstellungsmerkmal der Gruppe. Die Jungs und Mädels geben dem Kopfkino ein Gesicht: Niemand kann mehr Die drei Fragezeichen hören, ohne konkrete Vorstellungen davon zu haben, wie Justus, Peter und Bob aussehen – nämlich genau so, wie sie das Vollplaybacktheater personifiziert. Ihr Wiegenfest begehen die Mundtoten mit einer Wiederaufführung ihres 2005er-Sujets, jedoch und gottlob geremixt: „Das Gespensterschloss“ lehrt den vollen Saal das Fürchten. Na, eher das Lachen und Staunen.
Die Ur-Idee beim Wuppertaler Theatersommer vor nunmehr 21 Jahren (die gegenwärtige Tour läuft schon seit einer Weile) war es, auf der Bühne eine Drei-Fragezeichen-Kassette abzuspielen und dazu schlichtweg den Mund zu bewegen sowie sich vor simplen, aber effektiven Kulissen passende Aktionen auszudenken. Schon bald streckte das Ensemble die Folgen, zerhackte sie, schnitt Artfremdes dazwischen, remixte die Dialoge, loopte Abschnitte oder ließ sie rückwärts laufen, kehrte das Innere nach Außen und fand doch fast immer eine Linie im Geschehen. Die Darbietungen sind längst mehr als nur eine Retroshow für herausgewachsene Kassettenkinder, sie sind eine eigene Kunstform; Vollplaybacktheater ist weder Comedy noch schieres Theater. Und sie beziehen nicht nur Fremdes in die ausgewählte Episode ein, sondern auch Eigenes, die Referenz an die Referenz also.
Es gab zu Anfang des Vollplaybacktheaters diverse sättigungsbedingte Entwicklungen: Das VPT wollte sich nicht allein über die Drei Fragezeichen definieren, daher wählten die Wuppertaler auch krudes Zeug wie Hanni & Nanni, Jan Tenner, Edgar Wallace als Grundlage; bis in die Jetztzeit retten konnte sich lediglich John Sinclair, der immerzu den rechten Fuß vorsetzt und das linke Bein nachzieht. Zweiter Loslösungsversuch von der Interpunktion war das völlige Zerhacken der Geschichten, bis die Shows eine kreischbunte Nummernrevue ohne Narration waren. Doch recht schnell akzeptierten die Darsteller ihr Schicksal, schoben wieder drei Drei Fragezeichen in den Mittelpunkt und gaben den assoziativ ergänzenden Querschüssen die Hauptlinie als Grundlage. Das Ergebnis ist, dass heute nicht mehr jede sich aufdrängende Idee auch Verendung findet, die Geschichte dafür bei aller Alberei schlüssig bleibt, aber auch mal relativ ereignislose Strecken zulässt. Was die Gesamtmenge der brillanten Einfälle nicht mindert, dafür aber das Ergebnis aufwertet. Den Charme des Amateurhaften haben sich die VPT-Leute dabei übrigens beibehalten, und das ohne den Anflug des Billigen oder ihre Würde damit anzukratzen.
Alle werden schließlich erwachsen. Bis auf die Drei Fragezeichen. Die bekommen noch immer (1964 war das Gespensterschloss das erste Buch) von Alfred Hitchcock den Auftrag, für ein Filmprojekt ein Gruselgemäuer zu suchen. Eines fällt ihnen ins Auge, das mythenumweht ist und niemanden eine ganze Nacht lang in seinen Mauern duldet – noch jeder nahm Reißaus. Auch Justus, Peter und Bob, zunächst, bis sie das Geheimnis um den verstorbenen letzten Eigentümer lüften. Und nebenbei Stephen Terrill als Methkoch und Skinny Norris als dessen Sidekick entblößen.
Neben allerlei Gespenstergeschichten von Hui Buh bis Rocky Horror Picture Show und Shining sind es vor allem die Drei Fragezeichen selbst, die hier Quellen für Abweichungen sprudeln lassen. Ein heiteres Zitateraten fordert selbst Geübte im Sekundentakt heraus: Dieses Element war doch aus dem „Superpapagei“, das aus „Der Dreitag“, jenes aus „Finsterer Rivale“; wer soll sich das alles merken und wer hat beim Hören der Originalfolgen bloß sofort diesen Zusammenschnitt im Ohr?
Größte Freude bereiten die Einspielungen, die der Dauergast in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten selbst immer wieder auf der inneren Retina mit sich herumschleppt (DVD-Veröffentlichungen der Shows sind aus rechtlichen Gründen nach wie vor utopisch, daher freut man sich über das Live-Best-Of) und die hier überraschend neue Kontexte finden: „Ist nicht mein Bier“, „Ich bin hunderttausend Jahre alt“, „Jetzt klingt’s hohl“, die Eissorten. Und doch lechzt man auch nach Neuem, weil die Ideen so grell strahlen, weil die Darsteller gute Darsteller sind und weil man sich an jedem blitzschnellen Figurenwechsel ergötzt. Wie sie ein sprechendes Bild aus dem Raum tragen: Chapeau, Jack Sparrow! Wie „Captain Kidd“ mit Morton spricht: Den Querschuss muss man erstmal hören! Und wie findet jemand nur heraus, dass sogar Benjamin Blümchen in irgendeiner Episode den rechten Fuß vorsetzt und das linke Bein nachzieht?
Was nur wie immer nervt, sind die Tanzeinlagen; das Publikum feiert die jedoch, also bietet das Vollplaybacktheater es auch an, dass die Leute mitklatschen können, wenn jemand, der eine ungelenk wirkende Körperform hat, entsprechend zu Discohits herumzappelt. Das ist keine Pointe, liebes Publikum; aber wenn es dazu beiträgt, dass die Stimmung kocht, bitte. Also feiern wir. Schließlich wollen wir ja, dass es zum Abschluss, nach zweieinhalb Stunden, von der Bühne herunter heißt: „Wolfsburg – Rock’n’Roll!“
Vollplaybacktheater-Touren seit 1997: gesehen [verpasst]:
[- Das Geheimnis der Särge 1997]
[- Der Superpapagei 1999]
– Die rätselhaften Bilder ,1999 FBZ
– Das Geheimnis der Särge, FBZ
– Das Leichenhaus der Lady L., 2000 FBZ
– Toteninsel 2001, FBZ
– Toteninsel, FBZ
[- John Sinclair meets Hanni & Nanni 2002]
[- Hanni & Nanni go Space 2002]
– Banditen, Bars & Butterbrote (Hanni & Nanni vs Edgar Wallace: Gasthaus an der Themse), Jolly Joker 2003
– Die singende Schlange, Brunsviga 21.10.2004
– Das Gespensterschloß, Brunsviga 11.10.2005
– Der Teufelsberg, Capitol Hannover 11.05.2006
– Der Superpapagei, Staatstheater Braunschweig 09.05.2007
– Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen Clubtour (John Sinclair: Das Horror-Schloß im Spessart), Brunsviga 13.05.2008
– Die bedrohte Ranch, Capitol Hannover 04.11.2008
– TKKG: Das Paket mit dem Totenkopf, CD-Kaserne Celle 14.03.2010
– Der Karpatenhund, Cäciliensaal Oldenburg 12.03.2011
– Die schwarze Katze, Lindenhalle Wolfenbüttel 17.04.2012
– Niemals geht man so ganz (Der Superpapagei), Lindenhalle Wolfenbüttel 26.11.2012
[- Hinterm Horizont (John Sinclair: Das Horror-Schloß im Spessart) 2013]
– Pulp Fiction, Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal 12.03.2015
– Der Phantomsee, Theater am Aegi Hannover 01.03.2016
– Der grüne Geist, CongressPark Wolfsburg 22.02.2017
– Das Gespensterschloß, CongressPark Wolfsburg 15.02.2018