Von Matthias Bosenick (07.01.2018)
Was für ein Mist! Rassistisch, sexistisch, homophob, dazu die Abwesenheit einer Story und flache Gags, den eingangs genannten Eigenschaften zufolge meistens stereotyp und klischeehaft. Das ist trotz einiger vorangegangener Schwächen in den zurückliegenden 23 Büchern aus fast 60 Jahren der schlimme Tiefpunkt der ansonsten großartigen Serie. Man kann sich nur wundern, was den frisch hinzugezogenen Texter Zidrou da geritten hat, sich so einen Schwachsinn einfallen zu lassen. Dabei stammt eines der besten Spirou-Sonderabenteuer von ihm: „Das Licht von Borneo“, poetisch, kunstvoll, zeitkritisch, opulent. Dagegen der englische Detektiv: am anderen Ende der Skala.
Es dauert 25 von 48 Seiten, bis der als solcher deklarierte Fall beim Titelhelden landet. Bis zur Lösung hat die Geschichte lediglich drei, vier weitere Entwicklungspunkte. Der Rest ist geprägt von Überflüssigkeiten. Die Story: Bei Hochzeiten in London richtet jemand Massaker unter den Brautleuten an. Pickwick findet heraus, dass der unschädlich gemachte Bösewicht aus dem Vorgängerband, ein vermeintlicher Nachfahre Napoleon Bonapartes, dahintersteckt. Um seine Pläne abermals zu durchkreuzen, lässt er sich darauf ein, zum Schein ein altes Gelübde zu brechen: Er heiratet.
Dabei sind die Rückblicke auf die unglückliche Liebschaft und den Schwur zu Studienzeiten noch recht aufschlussreich, was die Biografie des Detektivs betrifft. Das ergänzt sich unzweifelhaft mit den bisherigen Jugenderinnerungen Pickwicks. Schön in Schwarzweiß – die Gegenwart indes sieht braun aus. Da wettert des Detektivs Vater, ein General, gegen aufständische Schwarze in einer der Kolonien, lästert der Held über wahrsagende Zigeuner und kommen Frauen wahlweise als Sexobjekte oder als empfindliche Spielverderberinnen weg. Das Franzosenbashing aus der Feder von Belgiern soll wohl halbwegs selbstironisch sein, geht aber über Stereotypen nicht hinaus und bleibt so ohne Witz, bedient vielmehr noch Vorurteile und Rassismus, anstatt sie augenzwinkernd zu entlarven.
Zeichnerisch war Turk schon immer etwas steif, besser: Seine Figuren sind es, auch „Robin Ausdemwald“ und „Leonardo“. Daran gewöhnt man sich und sieht bei angenehmer Geschichte darüber hinweg. Hier nun wechselt häufig die Liniendicke zwischen den einzelnen Bildern, als habe der Zeichner leere Flächen durch Vergrößerungen zu füllen versucht. Eine Unsitte ist es zudem, dass zeitgenössische Zeichner häufig Schrift oder andere Zeichen per Computer in ihre Arbeiten einfügen, was weit künstlicher aussieht als ein künstliches Lettering.
Dabei fing die Serie so gut an, 1959, bei Raymond Macherot unter dem Namen „Clifton“, der in Deutschland wegen Perry Clifton in Percy Pickwick umgeändert wurde. Macherot, der ansonsten mit fein gesellschaftsabbildenden Tiercomics von sich Reden machte, legte die Grundcharakteristika des Detektivs schon in den ersten drei Bänden an: Ex-Soldat, Pfadfinder, Schnurrbart, allein mit Haushälterin Miss Partridge lebend, technisch raffiniert ausgestattet, gebildet und schlau, jähzornig, von trockenem Humor und gutem Geschmack. Es dauerte neun Jahre, bis sich Jo-el Azara und Greg an den vierten Band mit den „Teuflischen Zwergen“ wagten. Turk, der auch jetzt wieder an Bord ist, und de Groot übernahmen das Regiment von 1971 bis 1983 für einige lange und kurze Abenteuer, die zwar noch sehr auf der humoristischen Schiene liefen, aber schon die Richtung andeuteten, in die es später weitergehen sollte, nämlich mit handfesten Ermittlungs- und Spionage-Geschichten, die mehr waren als nur Träger von Gags. Ab 1984 übernahm Bédu den Zeichenstil von Turk, als Duo führte er mit Texter de Groot die Serie bis 1990 weiter, über einigen unentschiedenen Witz- und Rückblickbänden bis hin zu einer der besten Geschichten der Serie, „Die Spur der Spinne“, einem komplexen Agententhriller. Bis 1995 machte Bédu anschließend allein weiter, mit ähnlich gewichtigen Geschichten. Für drei Bände schnappte sich ab 2003 Texter de Groot den Zeichner Rodrigue und schuf mit ihm eher orientierungslose, schlecht gezeichnete Witzbüchlein. Ohne Texter gelang Rodrigue 2008 mit „Irische Ballade“ immerhin noch ein respektables Buch.
Acht Jahre später nun erfolgte der Relaunch mit Turk und Zidrou – und es sieht nicht danach aus, als hätten sie den Geist der Serie verinnerlicht. Ihr fehlt nun der Charme und der Suspense, die der verschrobene Engländer in seinen oft lebensgefährlichen Fällen ausstrahlte. Es ist, als habe er sein Dasein als Erwachsener wieder abgelegt, das er sich über die ersten Jahre erfolgreich angeeignet hatte. Eine Zielgruppe lässt sich da nur schwer ausmachen, Kids werden es sicherlich nicht sein, alte Fans nur mit autoaggressivem Augenzudrücken auf beiden Seiten.